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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Jane Borodale
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geboren wird. Ich warte, bis die qualvolle Welle in mir wieder ansteigt, die röter und röter wird, wenn ich die Augen schließe, und dann presse ich wieder. Es kommt mir vor, als würde ich bergauf pressen, und dann kehrt sich mein Inneres nach außen. Ich werde aufgespalten. Ich werde zerrissen, zerstört, verbrannt. Mehr davon kann ich nicht ertragen. Mit einer unvertrauten, rauen Stimme schreie ich aus der Röte heraus, aber sie hören es nicht.
    Dann ist es vorbei, es ist aus mir heraus. Nur irgendeine Flüssigkeit tropft auf die Bodendielen. Sie sagen mir, dass sie die Nabelschnur durchschneiden. Sie sagen, dass das Kind, das ich diese ganzen Monate lang in mir getragen habe, eine Tochter ist. Sie gibt einen Schrei von sich, Gott sei Dank, einen gesunden Schrei, der vor Schock und Lebendigkeit zittert.
    »Gebt sie mir«, sage ich mit meiner fremden Stimme.
    Sie trocknen das Blut ab und geben sie mir.
    Ich bin erstaunt, wie schwer sie ist mit ihren kleinen weichen Gliedern. Ihre bläulichen Augen sind offen und scheinen mich erstaunt anzusehen. Wie fremd und gleichzeitig vertraut ihr Blick wirkt! Sie kommt von einem feuchten, uralten Ort der Natur, wo das Licht ganz anders ist. Sie hat dunkle Haare, die mit einer wachsartigen Substanz aus der Gebärmutter verklebt sind, als würden noch Spuren der Dunkelheit, aus der sie gekommen ist, an ihr haften. Sie presst die Augen fest zu. Ihr Mund bewegt sich. Ihre Lippen sind fein geschnitten und weich, und sie teilen sich und schließen sich wieder um ihre winzige, vollkommene Zunge, als würde sie die Luft um sie herum zum ersten Mal schmecken. Ihre Fingerchen beugen und strecken sich. Dann dreht sie sich in meinen Armen, findet blindlings meine Brust und beginnt zu saugen. Energisch drückt sie ihren Mund gegen die Brustwarze, als hätte sie neun Monate lang Hunger gelitten und jetzt keine Zeit zu verlieren.
    »Sie ist ziemlich groß für ein Neugeborenes, Agnes«, sagt Ann. »Dafür, dass sie so früh zur Welt gekommen ist.«
    »Das stimmt«, sage ich, und als unsere Blicke sich begegnen, sehe ich ihr an, dass sie genug weiß.
    Aber sie kennt nicht die ganze Geschichte, sie weiß nicht, dass ich wie eine Frau im Halbschlaf gelebt habe – niemand weiß das. Aber vielleicht kommt ja der Tag, an dem ich all meine Geheimnisse mit jemandem teilen kann. Besonders einen Menschen gibt es, dem ich eine Erklärung schulde – jemand, der mich vielleicht verstehen wird, auch wenn er mir nicht vergeben kann. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Heute bin ich erst einmal von Dank erfüllt, weil mein Kind und ich die Geburt gesund überstanden haben. Meine Mutter sagte immer, eine Geburt ist der Zeitpunkt im Leben einer Frau, in dem sie dem Tod am nächsten kommt, wenn sie Glück hat.
    * * *
    Meine Tochter beruhigt sich und saugt nun langsamer.
    Mary Spurren sitzt auf einem Stuhl am Fenster und schläft gerade ein. Ihr großer Kopf sinkt ihr von Zeit zu Zeit auf die Brust.
    Es ist beinahe Hochsommer. Zu Hause in den Downs geht die Sonne um diese Jahreszeit über dem Wald auf. Ein flüssiges Rosa breitet sich aus, ergießt sich über den milchigen Himmel und entfaltet langsam leuchtende Lichtstrahlen, die die nach Osten zeigenden Hänge der Hügel wärmen und die nächtlichen Nebel auflösen, die sich in den Senken und Tälern gebildet haben. Manchmal gleitet die Sonne hinter eine Wolkendecke und bleibt für einen großen Teil des Tages verborgen. Erst später bricht sie dann wieder am westlichen Himmel hervor und taucht alles in ein goldenes Licht.
    Als das blaue Tageslicht heller wird, löscht Ann eine nach der anderen die Kerzen, die unbeaufsichtigt vor sich hin gebrannt haben. Der Geruch der qualmenden Dochte zieht wie ein Duft durch die Kammer, so süß, dass ich mich fast wie berauscht fühle. Sie fragt, ob ich schlafen möchte und ob sie das Kind in seine Wiege legen soll. Doch ich will meine Tochter keinen Augenblick allein lassen, obwohl sie so kräftig ist und regelmäßig atmet, als sie nun zum ersten Mal in der Welt schläft. Mein Körper brennt vor Verlangen, mein Kind im Arm zu halten und kennenzulernen.
    »Wie soll sie heißen?«, fragt Ann in die Stille hinein.
    Ich blicke auf sie hinunter, auf die unehelich gezeugte Tochter in meinen Armen. Sie hat zu Ende getrunken und sich fest zusammengerollt wie eine Schnecke oder ein frischer Trieb. Die Morgensonne breitet sich im Raum aus, als ich antworte.
    »Sie heißt Lucy«, sage ich. »Ihr Name soll für
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