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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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(ein
    Mönchlein im 14. Jahrhundert schreibt nicht wie Gadda
    und erinnert sich nicht wie Proust); dagegen mußte im
    Foucaultschen Pendel eine Vielzahl von Sprachen ins
    Spiel kommen – die gebildet-archaisierende von Aglié, die
    pseudodannunzianische von Ardenti, die desillusioniert
    und ironisch (gewollt und erlitten) literarische von Belbo
    in seinen geheimen files , die kaufmännische und
    aufgeblasene von Garamond, dazu die ständig witzelnden
    Dialoge der drei Lektoren bei ihren unverantwortlichen
    Phantasien, in denen sich gelehrte Bezugnahmen mit
    Wortspielen auch dubiosen Geschmacks vermischen. Aber
    was Maria Corti einmal als »sprunghafte Registerwechsel«
    definiert hat7 (und ich bin ihr für den Hinweis dankbar),
    war nicht die Folge einer einfachen Stilwahl, sondern
    vorgegeben durch die je besondere Art der Welt, in der
    das Geschehen spielte.
    Bei der Insel des vorigen Tages war dann die Art der
    Ausgangswelt nicht nur bestimmend für den Stil, sondern
    sogar für die Struktur des Gesprächs und Dauerkonflikts

    7 Maria Corti, »I giochi del Piano«, in L’indice dei Libri del Mese , 10, 1988, S. 14 – 15.
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    zwischen Erzähler und Hauptfigur mit daraus folgender
    Einbeziehung des Lesers, der immer wieder als Zeuge und
    Mitwisser jenes Konflikts angerufen wird. Bedenken wir,
    im Foucaultschen Pendel spielte das Geschehen in
    unseren Tagen, so daß sich das Problem der Wieder-
    verwendung einer vergangenen Sprachform nicht stellte.
    Im Namen der Rose spielte es in einer viele Jahrhunderte zurückliegenden Zeit, in der eine andere Sprache
    gesprochen wurde, jenes Kirchenlatein, das so oft (nach
    Ansicht mancher zu oft) eingestreut wird, um den Leser
    daran zu erinnern, daß sich die Geschichte in einer fernen
    Zeit abspielt. Darum war das stilistische Vorbild zwar
    mittelbar das der damaligen Chronisten, aber unmittelbar
    das der modernen Übersetzungen, in denen wir sie
    gewöhnlich lesen (zudem hatte ich meine Vorkehrungen
    getroffen und eigens darauf hingewiesen, daß ich eine
    neugotisch-französische Übersetzung einer mittelalter-
    lichen Chronik bearbeitete). In der Insel dagegen konnte meine Hauptfigur nicht anders als barock reden, aber ich
    konnte nicht im Barockstil schreiben, da ich sonst ris-
    kierte, die Parodie jener alten Handschrift zu fabrizieren,
    die Manzoni am Anfang der Promessi Sposi als
    ungenießbar verwirft. Daher brauchte ich einen Erzähler,
    der sich bald über die verbalen Ausschweifungen seines
    Protagonisten erbost, bald ihnen zum Opfer fällt und sie
    dann durch Appelle an den Leser abzumildern sucht.
    So haben mir drei verschiedene Welten drei ver-
    schiedene »Stilübungen« auferlegt, die dann im Laufe des
    Schreibens zu drei verschiedenen Denk- und Sehweisen
    wurden, in denen ich mich so selbstverständlich bewegte,
    daß ich versucht war, selbst meine Alltagserfahrungen
    während dieser Zeiten in ihre Begriffe zu übersetzen.
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    Die Ausnahme Baudolino
    Bisher habe ich gesagt, daß man a) von einer Ideen-
    Keimzelle ausgeht und daß b) die Konstruktion der Welt
    den Stil determiniert. Meine letzte erzählerische Erfah-
    rung, Baudolino , scheint diese beiden Prinzipien zu widerlegen. Was die Ideen-Keimzelle angeht, so hatte ich
    mindestens zwei Jahre lang viele davon, und wenn man zu
    viele Ideen-Keimzellen hat, ist das ein Zeichen dafür, daß
    sie keine Keimzellen sind. Tatsächlich hat jede von ihnen
    nur einzelne, auf wenige Kapitel begrenzte Situationen
    erbracht, nicht die Gesamtstruktur des Romans.
    Die erste Idee verrate ich nicht, denn ich habe sie
    aufgegeben – aus verschiedenen Gründen, vor allem weil
    es mir nicht gelungen ist, sie zu entwickeln –, und
    womöglich reserviere ich sie mir, wer weiß, für einen
    fünften Roman. Sie wurde jedoch von einer anderen
    begleitet, die sich auf den Topos des Mordes in einem
    geschlossenen Raum reduzieren läßt, und wie man sieht,
    wenn man den Roman liest, habe ich diesen Topos nur für
    das Kapitel über Friedrichs Tod verwendet.
    Die zweite Idee war, daß die Schlußszene zwischen den
    mumifizierten Leichen in der Kapuzinergruft von Palermo
    spielen sollte (tatsächlich war ich mehrmals dorthin
    gegangen und hatte mir zahlreiche Fotos der Örtlichkeit
    und einzelner Mumien gemacht). Wer den Roman gelesen
    hat, weiß, daß diese Idee für den Showdown zwischen
    Baudolino und dem Poeten benutzt worden ist, aber in der
    Ökonomie des Romans hat sie nur eine marginale
    Funktion, eine rein
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