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Die Beute

Die Beute

Titel: Die Beute
Autoren: Lisa J. Smith
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wenn er konnte.
    Das Töten fühlte sich so gut an. Jede Art von Töten.
    Das war Gordie Wilsons kleines Geheimnis.
    Das Häschen war fort. Er hatte es verschreckt. Oder …
    Vielleicht hatte jemand anders es getan.
    Ein seltsames Gefühl beschlich Gordie. Es stieg so langsam in ihm auf, dass er nicht einmal sagen konnte, seit wann es sich entwickelt hatte. Noch nie zuvor hatte er etwas Vergleichbares empfunden – zumindest nicht im wachen Zustand. Ein … Kaninchengefühl. Wie das, was ein Kaninchen fühlen mochte, wenn es erstarrte, sich duckte, während der Jäger es im Auge behielt. Wie das, was ein Eichhörnchen empfinden mochte, wenn es sah, wie etwas Großes sich langsam heranpirschte.
    Ein Gefühl … beobachtet zu werden.

    Die Haut in seinem Nacken begann zu kribbeln.
    Da waren Augen, die ihn beobachteten. Er spürte es mit dem Teil seines Gehirns, der sich in hundert Millionen Jahren nicht verändert hatte. Dem Reptilienteil.
    Vorsichtig und immer noch mit einer Gänsehaut, drehte er sich um.
    Direkt hinter ihm wuchsen drei alte Zypressen so nah beieinander, dass sie einen einzigen Schatten warfen. Aber unter den Zypressen war es zu dunkel, als dass es nur von einem Schatten herrühren konnte. Es war vielmehr ein schwarzer Nebel, der dort hing.
    Irgendetwas war unter diesen Bäumen. Irgendetwas hatte das Kaninchen beobachtet.
    Und jetzt beobachtete es ihn.
    Der schwarze Nebel schien sich zu bewegen. Weiße Zähne glitzerten in der Dunkelheit, so hell wie Sonnenlicht auf Wasser.
    Gordies Augen traten aus den Höhlen.
    Was zum – was war das?
    Der Nebel bewegte sich erneut und er sah es.
    Nur – dass es nicht sein konnte. Es konnte nicht sein, was er zu sehen glaubte, denn es – konnte einfach nicht sein. Es gab nichts Derartiges auf der Welt, also konnte es einfach nicht  …
    Es übertraf alles, was er sich jemals vorgestellt hatte. Wenn es sich bewegte, dann schnell. Gordie konnte gerade noch einen Schuss abfeuern, als es auf ihn zuwogte. Dann drehte er sich um und rannte los.

    Er nahm den gleichen Weg wie das Kaninchen, schlitterte und rutschte den Hang hinunter und riss sich an den stachligen Kaktusfeigen seine Jeans und seine Hände auf. Das Ding, das er gesehen hatte, war direkt hinter ihm. Er konnte es atmen hören. Er stolperte über einen Stein und fiel – heftig mit den Armen rudernd – zu Boden.
    Er rollte sich herum und sah es im vollen Sonnenlicht. Der Unterkiefer klappte ihm herunter. Er versuchte, auf dem Hintern wegzurutschen, aber pures Entsetzen lähmte seine Muskeln.
    Es näherte sich langsam.
    Ein jammernder Laut blubberte über Gordies Lippen. Sein letzter wilder Gedanke war: Nicht ich – nicht ich – ich bin kein Kaninchen – nicht iiiiich …
    Sein Herz hörte zu schlagen auf, noch bevor die Kreatur die Zähne in ihn graben konnte.
     
    Jenny bürstete sich das Haar und spürte, wie es in der statischen Elektrizität dieses goldenen Mainachmittags knisterte und den Plastikborsten ihrer Bürste entgegenschwebte. Geistesabwesend betrachtete sie ihr eigenes Spiegelbild und sah ein Mädchen mit waldgrünen Augen, die so dunkel waren wie Kiefernnadeln, und Augenbrauen, die so gerade waren wie zwei entschlossene Pinselstriche. Das aufgeladene Haar schimmerte wie Honig in Sonnenlicht.
    »Sie haben es nicht getan.«

    Jenny hielt abrupt inne. Hinter ihr im Spiegel tauchte ein Mädchen auf.
    Sie hatte dunkles Haar und dunkle Augen, die vom Weinen gerötet waren, und sah so aus, als machte sie sich darauf gefasst, jederzeit aus der Schultoilette zu flüchten.
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte, sie haben es nicht getan. Slug und P.C. Sie haben deine Freundin Summer nicht getötet.«
    Oh. Jenny ertappte sich dabei, wie sie die Bürste fest umklammerte, außerstande, den Kopf zu drehen. Die Augen des Mädchens im Spiegel hielten ihren Blick fest, und jetzt verstand sie. »Ich habe nie gesagt, dass sie es getan haben«, erwiderte sie leise und bedächtig. »Ich habe der Polizei lediglich erzählt, dass sie in dieser Nacht in der Nähe waren. Und dass sie etwas aus meinem Wohnzimmer gestohlen haben. Ein Papierhaus. Ein Spiel.«
    »Ich hasse dich.«
    Schockiert drehte Jenny sich um.
    »Du und deine feinen Freunde – ihr habt es getan. Ihr habt sie selbst getötet. Und eines Tages werden es alle wissen und ihr werdet dafür bezahlen und es wird euch leidtun.« Das Mädchen drehte ein Kleenex zwischen ihren schlanken olivbraunen Fingern und zerfetzte es in kleine Stücke. Ihr
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