Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
fürchterlichem Lärm durch das dunkle Land. Und diese Menschen, die man zum Gemetzel, zur Schlachtbank führte, sangen aus allen Kräften, daß ihre Stimmen sogar den Lärm der Räder übertönten.
    Jacques schloß mit dem Fuß die Thür. Er manövrirte gleichzeitig mit dem Injector und sagte ganz ruhig:
    »Das Feuer ist zu stark … Schlaft Euch aus, wenn Ihr betrunken seid.«
    Pecqueux aber öffnete wieder und warf abermals Kohlen auf, als wollte er die Locomotive in die Luft sprengen. Das war also die reine Revolte, kein Befehl wurde mehr befolgt, in seiner aufgestachelten Leidenschaft ging ihm jeder Begriff menschlicher Pflichten verloren. Als Jacques sich bückte, um den Schaft des Aschkastens zu senken, damit sich der Luftzug wenigstens vermindere, umschlang Pecqueux mit den Armen seinen Körper und versuchte ihn mit einem Ruck auf das Geleise zu schleudern.
    »Das also willst Du, Du Schuft! … Damit Du sagen könntest, ich sei gestürzt, Du Saufbold!«
    Mit einer Hand hielt er sich an der Brüstung des Tenders. Beide glitten dabei aus, der Kampf setzte sich nun auf der heftig schwankenden Brücke aus Eisenblech fort. Sie bissen die Zähne aufeinander und sprachen kein Wort weiter. Einer nach dem andern versuchte den Gegner durch die schmale Oeffnung zu stoßen, welche nur durch eine Eisenstange versperrt war. Doch das ging nicht so leicht. Gefräßig rollte die Locomotive weiter und weiter. Barentin war passirt, der Zug stürzte sich jetzt in den Tunnel von Malaunay und noch immer hielten sie sich gepackt, sie wälzten sich jetzt auf den Kohlen umher und stießen die Köpfe gegen den Wasserbehälter, sie vermieden die vom Feuer geröthete Thür der Heizung, an der ihre Beine sengten, so oft sie diese ausstreckten.
    Jacques glaubte einen Augenblick aufspringen, den Regulator schließen und um Hilfe rufen zu können, damit man ihn von diesem wüthenden, vom Trunke und von der Eifersucht entflammten Menschen erlöste. Er fühlte sich schon schwächer werden, er zweifelte bereits noch die Kraft zu haben, Jenen hinauszustoßen, er sah sich schon besiegt und fühlte bereits seine Haare sich vor Schreck über den Sturz sträuben. Als er den letzten Versuch machte und mit der Hand umhertastete, begriff der Andere, was er vorhatte, er richtete sich ebenfalls auf und hob Jacques wie ein Kind empor.
    »Ach, Du willst anhalten … Du hast mir meine Frau genommen … Es ist Zeit, daß Du gehst!«
    Die Locomotive rollte und rollte dahin, der Zug kam mit betäubendem Lärm aus dem Tunnel heraus und setzteseine Fahrt durch die düstre, öde Landschaft fort. Die Station Malaunay wurde mit solcher Geschwindigkeit passirt, daß der auf dem Perron stehende Unter-Inspector nicht einmal die beiden um ihr Leben kämpfenden Männer bemerkte, denn wie der Blitz waren sie vorüber.
    Pecqueux machte abermals eine Anstrengung und stürzte Jacques hinab. Dieser aber klammerte sich, als er den Boden unter den Füßen verlor, so fest an dessen Hals, daß er ihn mit hinabzog. Zwei fürchterliche Schreie, die in einen ausklangen und verhallten. Die beiden, gemeinsam hinabgefallenen Männer wurden durch die Rückwirkung der Schnelligkeit unter die Räder gezogen und sie, die so lange wie zwei Brüder gelebt hatten, in dieser schrecklichen Umarmung geköpft und zerrissen. Man fand sie ohne Köpfe, ohne Füße, als zwei blutige Stümpfe auf, die sich noch umschlungen hielten, als wollten sie sich gegenseitig die Brust eindrücken.
    Und die Locomotive, von jeder leitenden Hand befreit, sauste dahin. Jetzt konnte die Widerspenstige, phantastisch Veranlagte dem Triebe ihrer Jugend nach Gefallen Folge leisten, wie ein noch ungezähmtes Pferd, das den Händen des Meisters entschlüpft, über den flachen Rasen davongaloppirt. Der Kessel hatte noch genügend Wasser, die Kohle, mit welcher der Ofen bis oben gefüllt war, entzündete sich von selbst. Während der ersten halben Stunde stieg der Druck zu unheimlicher Höhe, die Schnelligkeit wurde schwindelerregend. Der Zugführer schlief jedenfalls, von der Müdigkeit übermannt. Die Soldaten, die das viele Trinken ebenfalls müde gemacht hatte, wurden durch diese rasende Fahrt wieder munter gemacht und sangen noch lauter als zuvor. Wie ein Blitz durchfuhr man Maromme. Kein Pfiff ertönte bei der Annäherung an die Signale, beim Passiren der Bahnhöfe. Mitten durch die Hindernisse führte der Galopp der Bestie mit ihrem tief gesenkten, störrischen Kopf. Wie toll gemacht durch das Zischen ihres heißen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher