Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen

Die Augen

Titel: Die Augen
Autoren: Hooper
Vom Netzwerk:
beobachtet, wie sie auf dem Wasser trieben. Ich habe dir die Augen genommen, Audra. Ich habe – es waren braune Augen. Ich erinnere mich daran. Braune Augen. Und ich habe sie genommen. Und du konntest mich nicht sehen.«
    »Ich sehe dich jetzt.« Ihre Stimme war ausdruckslos, kalt. »Ich sehe dich, Bobby. Wir alle sehen dich. Du wirst dich nie mehr vor einer von uns verstecken können.«
    »Nein«, murmelte er, die Pistole zitterte, er zog seine breiten Schultern hoch. »Nein, bitte.«
    »Wir sehen dich«, wiederholte Annie.
    »Wir sehen dich«, tat Maggie es ihr nach.
    Er lachte – ein seltsamer, hoher Laut. Maggie beobachtete ihn genau, und sie sah, wie seine Augen sich veränderten. In deren ausdruckslosen grauen Tiefen ging etwas entzwei, zersetzte sich. Sie hatte ein ganz eigentümliches Gefühl, als wäre eine elementare Kraft, ein Energiestoß an ihr vorbeigefegt, weniger wie Luft, eher wie Druck auf den Ohren, der schlagartig nachgelassen hatte.
    Alles spielte sich innerhalb von Sekunden ab. Ehe sie sich bewegen oder reagieren konnte, war die zitternde Pistole auf sie gerichtet, seine Hand wurde ruhiger, und er wimmerte: »Nein …«
    Maggie blieb der Bruchteil einer Sekunde, um in diese Augen zu blicken, in denen nichts zurückgeblieben war außer einem dumpfen Hass. Dann hallte ein dritter Schuss durchs Lagerhaus.
    Sie erwartete Schmerz, wappnete sich dafür. Doch die Pistole in Simon Walshs Hand war klappernd zu Boden gefallen und er selbst beinahe lautlos zusammengebrochen.
    Es war vorbei. Es war endlich vorbei.
    Ehe Maggie mehr tun konnte, als einfach wieder zu Atem zu kommen, war John da und zog sie mit einem Arm unsanft an sich, während die Pistole in seiner anderen Hand immer noch auf Walsh zeigte.
    »Maggie …«
    »Eine Minute lang«, hörte sie sich erstaunlich ruhig sagen, »habe ich gedacht, du kommst zu spät.«
    »Wäre er auch beinahe«, bemerkte Quentin, der aus dem Schatten nahe der Stelle trat, an der Annie geschwebt hatte. Argwöhnisch ging er zu Walsh, um nach einem Puls zu tasten. Seine eigene Waffe hielt er solange schussbereit. Als er keinen Puls fand, entspannte er sich. »Ich hatte von meinem Standort aus keine gute Sicht, deshalb hing alles von ihm ab.«
    »Tara …«
    Doch Quentin ging bereits zum Bett. Sekunden später blickte er sie grimmig an. »Sie lebt, aber nur so gerade eben.«
    Er holte sein Handy hervor, um rasch einen Rettungswagen zu rufen. Hollis half ihm auf der anderen Bettseite, Tara Jameson behutsam loszubinden. Zugleich redete sie beruhigend auf die schrecklich verletzte Frau ein.
    »Ihr zwei habt es verdammt darauf ankommen lassen«, sagte John mit verkrampfter Stimme. »Mensch, Maggie …«
    Maggie ließ ihre Blicke flüchtig durch den Raum schweifen. Sie war nicht überrascht, dass Annie nicht mehr da war. Dann sah sie lächelnd zu ihm hoch. »Ich weiß. Ich hatte einfach das Gefühl, ich …«
    »Du müsstest das tun. Ja, schon klar.« Er sicherte seine Waffe, steckte sie in die Jacke und legte ihr beide Hände auf die Schultern. Zwar schüttelte er sie nicht, doch der Wunsch, dies zu tun, war in seinem festen Griff zu spüren. »Erzähl doch mal, wie du diese kleine Auseinandersetzung gewinnen wolltest! Du hattest ja nicht mal so was wie einen dicken Knüppel!«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste, mein Gesicht würde mir einen Vorteil verschaffen, weil es ihn völlig unvorbereitet treffen würde, mich hier zu sehen. Dadurch hatte ich die Situation unter Kontrolle, wenigstens für kurze Zeit. Ich dachte … mir fiel nur ein einziger Weg ein, das Böse in ihm zu bekämpfen: Man musste versuchen, es zu zertrümmern – oder zumindest den Verstand, in dem es wohnte. Indem eines seiner Opfer ihm entgegentritt und alle seine Geheimnisse kennt. Es war das Einzige, was mir einfiel. Ich musste es versuchen, John.«
    »Tu mir so etwas nie wieder an.«
    »Keine Angst, das werde ich nicht.« Sie blickte ihn forschend an.
    »Ich werde keine Albträume haben, weil ich ihn umgebracht habe«, versicherte ihr John. »Und ich werde es nicht bereuen. Wenn man einen tollwütigen Hund von seinen Leiden erlöst, tut man ihm nur einen Gefallen.«
    »Du hattest keine Wahl«, sagte sie dennoch.
    »Ich weiß.« Er nahm sie in die Arme. »Geht es dir gut? Selbst ich kann die Schmerzen in diesem Haus spüren.«
    Maggie dachte darüber nach, dann lächelte sie ihn an. »Wenn du mich berührst, spüre ich nur dich.«
    »Gut«, meinte John und küsste sie.
     
    Eine knappe Stunde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher