Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
schließen, die in der Landschaft gebildet worden waren, gelang es ihm, den Input-Navigator an Positionen der Bibliothek zu schicken, die sich auf die mysteriösen Linear-Worte der vier Bürger bezogen: Inoshiro, Gabriel, Blanca und Waisenkind. Jedes dieser Worte war mit Datenmengen indiziert, die jedoch keinerlei Beziehung zu den Bürgern selbst hatten. Das Waisenkind sah so viele Bilder von Körperlichen, oftmals geflügelt, die mit dem Wort ›Gabriel‹ assoziiert waren, daß es ein Gesamtsymbol aus den entdeckten Regelmäßigkeiten konstruierte, doch dieses neue Symbol überschnitt sich kaum mit dem des Bürgers mit dem goldenen Fell.
    Das Waisenkind gab immer wieder die vom Infotrop initiierte Suche auf, wenn alte Adressen der Bibliothek, die sich seinem Gedächtnis eingeprägt hatten, die Aufmerksamkeit des Input-Navigators erregten. Als es irgendwann eine Szene sah, in der ein schmutziges Kind der Körperlichen eine leere Schüssel aus Holz hochhielt, wurde dem Waisenkind langweilig, so daß es sich wieder vertrauterem Territorium näherte. Unterwegs stieß es auf eine Szene mit einem erwachsenen Körperlichen, der neben einem verwirrten Löwenjungen kauerte und es auf die Arme nahm.
    Neben ihnen lag eine Löwin am Boden, reglos und blutüberströmt. Der Körperliche streichelte den Kopf des Jungen. »Arme kleine Yatima.«
    Etwas an dieser Szene faszinierte das Waisenkind. Es flüsterte der Bibliothek zu: »Yatima, Yatima.« Es hatte dieses Wort noch nie zuvor gehört, aber es schien eine starke Resonanz zu erzeugen.
    Das Löwenjunge maunzte. Der Körperliche schnurrte: »Mein armes kleines Waisenkind.«
     
    Das Waisenkind wechselte zwischen der Bibliothek und der Landschaft mit dem orangefarbenen Himmel und der Fontäne aus fliegenden Schweinchen. Manchmal waren seine drei Freunde da, manchmal spielten andere Bürger eine Weile mit ihm, und manchmal war auch nur der vierte Bürger da.
    Das Aussehen des vierten Bürgers war während der verschiedenen Besuche nie dasselbe. Er neigte dazu, dem eindrucksvollsten Bild zu ähneln, das das Waisenkind im Verlauf der letzten paar Kilotau in der Bibliothek gesehen hatte. Dennoch war er leicht zu identifizieren, da er der einzige Bürger war, der nur dann sichtbar wurde, wenn sich die zwei Navigatoren auseinanderbewegten. Jedesmal, wenn das Waisenkind in der Landschaft eintraf, veränderte es die Perspektive auf sich selbst und betrachtete den vierten Bürger. Manchmal variierte es das Icon, damit es größere Ähnlichkeit mit einer bestimmten Erinnerung aufwies, oder paßte es an die ästhetischen Präferenzen der Input-Klassifikations-Netzwerke an. Diese Neigungen waren zu Anfang von einigen wenigen Eigenschaftsfeldern abgesteckt worden, um dann durch folgende Datenströme vertieft oder überschwemmt zu werden. Manchmal imitierte das Waisenkind den Körperlichen, der das Löwenjunge aufgehoben hatte: groß und schlank, mit tiefschwarzer Haut und braunen Augen, in ein purpurrotes Gewand gekleidet.
    Und als der Bürger, der mit ›Inoshiro‹ verknüpft war, einmal mit gespieltem Bedauern sagte: »Armes kleines Waisenkind, du hast ja immer noch keinen Namen«, da erinnerte sich das Waisenkind an die Szene und erwiderte: »Arme kleine Yatima.«
    Der Bürger mit Goldfell sagte: »Ich glaube, jetzt weiß es ihn.«
    Von da an nannten alle den vierten Bürger ›Yatima‹. Sie sagten es so häufig und machten ein solches Aufhebens darum, daß das Waisenkind bald eine genauso enge Bindung zu diesem Symbol gewann wie zu ›Waisenkind‹.
    Das Waisenkind beobachtete den mit dem Symbol ›Inoshiro‹ verknüpften Bürger, wie hie dem vierten Bürger in triumphierendem Singsang zurief: »Yatima! Yatima! Ha ha ha! Ich habe fünf Eltern und fünf Teil-Geschwister, und ich werde immer älter als du sein!«
    Das Waisenkind ließ den vierten Bürger antworten: »Inoshiro! Inoshiro! Ha ha ha!«
    Aber dann wußte es nicht mehr, was es als nächstes sagen sollte.
     
    Blanca sagte: »Die Gleisner justieren einen Asteroiden – in diesem Augenblick, in Realzeit. Kommst du mit, um es dir anzuschauen? Inoshiro und Gabriel sind auch da. Folge mir einfach!«
    Blancas Icon wechselte das Etikett und war dann plötzlich verschwunden. Das Forum war nahezu leer, in der Nähe des Springbrunnen hielten sich ein paar Reguläre auf, die, wie das Waisenkind wußte, nicht reagieren würden, und dann war da noch wie immer der vierte Bürger.
    Blanca kehrte zurück. »Was ist los? Weißt du nicht, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher