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D.E.U.S.

D.E.U.S.

Titel: D.E.U.S.
Autoren: Mario Degas
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dem damit verbundenen Leid.
     Was
würde mich hier erwarten!? Ich konnte es nicht mehr mit Bestimmtheit sagen,
malte mir aber ein Szenario aus: Quentin, wie er noch immer Millionen von
Fliegen im Glas züchtete und seiner Profession nachging. Ein erwachsener Sean,
der über Büchern hing und seinem Ziehvater unter die Arme griff. Und Räuber, um
keinen Tag gealtert, wie er immer noch mit dem Knochen spielte.
     Meine
Träume lösten sich blitzartig in Luft auf, als ich durch den Torbogen trat.
Keine Musik und kein Hundegebell hießen mich willkommen. Ich kam aus dem Wald,
um einen neuen Wald zu betreten. Alles Menschliche hatte diesen Ort vor langer
Zeit verlassen. Pflanzen und Bäume hatten sich zurückgeholt, was ihnen einmal
genommen wurde. Es war ein Habitat gewesen, wo Mensch und Natur Seite an Seite
lebten – jetzt war es eine grüne Ruine, die ihre Struktur verloren hatte.
     Moos
bedeckte den Boden, wo einmal der Trampelpfad gewesen war. Der Teich vor dem
Haus war noch intakt, seine Grundlage, die Nesseltiere, jedoch nicht mehr
vorhanden. Ich blickte hinauf. Kletterpflanzen wanden sich mit ihren dicken
Wurzeln um das Haus. Ihr Braun vermischte sich mit dem Grün, wirkte dabei wie
eine zweite Haut.
     Ich
warf einen Blick ins Innere. Nichts rührte sich. Als ich die Eingangstür vorsichtig
öffnete, schlug mir ein leichter metallischer Geruch entgegen. Ich konnte ihn
nicht charakterisieren. Mit dem Wind von außerhalb verflüchtigte er sich rasch
in seine Bestandteile, nur noch Partikel schwirrten unsichtbar durch die Luft. 
     Das
Bild wiederholte sich: Als klebte mir die Verwüstung an den Fersen, gab es auch
hier nichts weiter als heilloses Durcheinander. Wenn Rion die Ouvertüre war,
dann war dies die Kür. 
     Jeder
Einrichtungsgegenstand hatte den für ihn vorgesehenen Platz verlassen, ganz
oder in Stücken. Die Stühle waren umgeworfen, die Schränke aufgebrochen. Gläser
und Instrumente verteilten sich über das von Furchen übersäte Parkett. Bilder
hingen lose an ihren Haken und zeigten ihre grotesken Fratzen.
     Ich
gab es auf, nach jemandem zu rufen. Weder Quentin noch Sean waren hier. Doch
vielleicht fand ich eine Nachricht, eine Botschaft eines Vertriebenen an einen
Zurückgekehrten.
     Vorne
im Haus stapelte sich die ganze Unordnung, im hinteren Teil sah es nicht ganz
so schlimm aus. Hier stand nur der kleinere Glastisch, welcher unversehrt
geblieben war, und das Bücherregal, dessen Sammlung noch komplett vorhanden war
– mit Ausnahme von einigen Standardwerken, deren Fehlen nur bedeuten konnte,
dass Quentin seine Forschung noch nicht ganz an den Nagel gehangen hatte.
     Unter
dem Tisch lag das weiße Laken wie ein angespannter Torso. Gläser wurden ganz
oder teilweise verdeckt, so als würde sich deren menschlicher Inhalt vor
irgendjemanden zu verstecken versuchen. Ein Kabel spannte sich vom Boden den
Tisch hoch, wo es noch immer mit Quentins selbst entwickelter Apparatur
verbunden war. Ich zog das Laken zur Seite. Die andere Seite des Kabels war mit
dem größeren der Gläser verbunden. Darin steckte, wie schon bei meinem letzten
Besuch, ein Fötus, weit entwickelt und zu meiner Überraschung mit einem
schlagenden Herzen. Der kleine Körper kämpfte krampfhaft mit der Entscheidung:
Leben oder Sterben. Die Äderchen stachen bläulich hervor, die winzigen Finger
zuckten wie im fiebrigen Wahn.
     Ich
musste unwillkürlich an meine kleine Zoë denken, wie sie in Mels Armen lag. Ich
konnte das Laken zurückschieben und einfach verschwinden. Es würde keinen
Unterschied machen. Ich hatte bereits zu viele Opfer der Dystopie gesehen. Doch
etwas bewegte mich hier zu bleiben. Meine Augen konnten schnell vergessen. Aber
meine Seele konnte nicht unbeschadet gehen; meine Ohren würden den Herzschlag
auch dann noch hören, wenn ich bereits in die Straßenschluchten Neu New Yorks
zurückgekehrt war.
     Fünfhundert
Gramm hatten die Entscheidung an mich abgegeben: Ich griff geistesabwesend an
die Apparatur und zog das Kabel aus seiner Klemme. Ein Zischen begleitete die
Anzeige, die langsam auf zwei nullen herabsank. Der Fötus rührte sich nicht
mehr. Das Glas wurde zu seiner Bestimmung.
     Schuldgefühle
schwirrten durch meinen Kopf. Ich konnte nicht zwischen dem unterscheiden, was
richtig und was falsch war. War es falsch den Stecker zu ziehen und damit ein
Menschenleben zu zerstören? War das, was in dem Glas war, überhaupt
menschlichen Ursprungs? Mensch oder Schöpfung? Wo lag da der
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