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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Autoren: Simone Neumann
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Und ich folgte ihnen, folgte ihnen heimlich. Ich versteckte mich hinter dem Ofen und sah zu, wie sie sich mit der Mutter und der schwester stritten. Wie sie sie schlugen und alles durchwühlten, wie sie nichts von dem fanden, was sie suchten. Ich sah, wie sie über meine schwester herfielen, einer nach dem anderen. Und dann sah ich, wie sie ihr die Kehle durchschnitten. Ich sah, wie sie meine Mutter packten, wie sie sie schüttelten und anschrien, sah, wie einer von beiden ein Seil holte und es um einen Balken schlang. Ich sah, wie sie meine Mutter am Hals an diesem seil hinaufzogen. Sah, wie sie zappelte, wie sie sich wehrte, wie ihr Gesicht blau anlief. Und dabei hörte ich das Röcheln meiner Schwester, das entsetzliche Röcheln. Und ich sah zu. Ich sah einfach zu. Saß in der Ecke und sah zu.
    Und weißt du, was ich fühlte, Anna Pippel? Weißt du, was ich fühlte?«
    Anna schüttelte der Kopf. Ihre Augen taten weh, ihre Ohren sausten, aber sie hörte weiter zu.
    »Ich fühlte Abscheu, Ekel und scham. Ich fühlte Liebe, Trauer und Schmerz. Und gleichzeitig fühlte ich Lust, Gier, Rache, Befriedigung und Freude. Ja, ich fühlte Glück und dann wieder Scham und wieder Glück und wieder scham. Ich lachte, ich pinkelte mir in die Hose, und dann wimmerte ich wieder wie ein kleiner Hund. Wie ein kleiner, verlassener, hilfesuchender Hund. Ein unschuldiges kleines Wesen, dass in der Ecke hinter dem Ofen saß und zusah, wie die heißgeliebte und heißgehasste Mutter starb. Wie sie starb und mir nicht half, wie sie mich verließ, einfach von mir ging. Ich wimmerte und wedelte gleichzeitig mit dem schwänzchen. Ja, so war das.«
    »Und dann?« »Dann ging ich in die Welt. Machte dies, machte das. Wurde Prediger, nannte mich Pastor. Hatte Erfolg. Ja, auch bei den Weibern hatte ich Erfolg. Doch immer wieder, immer wieder forderten sie mich heraus. Zeigten mir, dass sie es nicht wert waren, sie zu beachten, sie zu lieben und zu schätzen. Und dann musste ich sie bestrafen. Musste sie bestrafen, wie auch meine Mutter und meine Schwester bestraft worden waren. Aber ich gab ihnen allen einen letzten Ausweg, gab ihnen ein Zeichen. Doch allesamt waren zu dumm, dieses Zeichen zu deuten.«
    »Ihr gabt ihnen die sanduhr.«
    »Die Sanduhr, genau. Einen Tag vor ihrem Tod gab ich sie ihnen. Steckte sie ihnen heimlich zu oder beauftragte Pippin, es für mich zu tun. Sie sollten wissen, dass ihre Zeit abgelaufen war. Dass sie ihr Leben verwirkt hatten. Doch sie begriffen nicht. Keine begriff.«
    »Und dann habt Ihr sie alle getötet.«
    »Alle. Ich habe sie getötet, weil sie so dumm waren und nicht begriffen, dass ich sie töten würde. Ich schaute mir an, wie sie litten, wie sie strampelten und röchelten. So wie die Mutter und die Schwester gestrampelt und geröchelt hatten. Und ich hinterließ bei ihnen einen kleinen Hund, ein kleiner Hund, der ihre Wärme, ihre Zuneigung suchte. Ein Hund, der Hunger hatte, der Schutz brauchte. Doch gaben sie ihm all das? Gaben sie ihm Schutz, Liebe, Wärme und Nahrung? Nein, das gaben sie ihm nicht. Sie dachten nur an sich, sie strampelten, röchelten und zuckten. Keine, nicht eine, hatte Mitleid mit dem unschuldigen, wimmernden Geschöpf zu ihren Füßen.«
    »Ihr seid vollkommen irrsinnig. Vollkommen. Ihr seid vom Teufel besessen, Pastor Bracht.« Anna ekelte sich. Sie wollte kein Wort mehr hören. Er widerte sie an, dieser Mann, der dort gefesselt auf dem Boden saß und Mitgefühl von ihr erwartete.
    Ihr war speiübel. Doch dann nahm sie sich zusammen und resümierte: »Und weil Eure Mutter und Schwester über Euch gelacht haben, als Ihr ein Kind wart, habt Ihr zukünftig alle Frauen verabscheut, die über Euch lachten?«
    »Ja, denn sie sind alle gleich. Man ist freundlich, will helfen. Und was ist der Dank? Sie suchen und sie finden immer eine Möglichkeit, sich lustig zu machen. Doch das mussten sie bü ßen, allesamt! Und auch du wirst büßen, Anna Pippel.«
    »Es war nur, weil Ihr damals in den Matsch gefallen seid und ich ein wenig lachen musste?«
    »So ist es. Und wenn du alles wissen willst, dann kann ich es dir gerne sagen: Deine Schwester war eine von den Dümmsten, sie hat über das Niedrigste gelacht, über das man lachen kann. Die Hure, die du in der Kirche gefunden hast, fand komisch, was ich unter meinem Rock trage. Die Alte im Wald, die ich an den Galgen hängte, lachte über meine Aussprache, als ich sie fragte, ob sie dich gesehen habe. Die Magd aus diesem Dorf hier, deine
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