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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf
Autoren: Erik Zimen
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Kranken, die Schwachen bleiben verbittert
zurück. Höfe verfallen, das Land verarmt – soweit dies im
Wohlfahrtsstaat Schweden möglich ist –, und da »schickt
der Staat auch noch Wölfe«, denn selbstredend gilt es als
sicher, daß diese ausgesetzt wurden. Zurück ins Mittelalter
solle es gehen, der Wald solle entvölkert werden, damit die
Naturschützer aus Stockholm mit ihren Wölfen allein hier
leben könnten. Eine große Verschwörung sei das Ganze, die
Perversion einer neuen Zeit, das wahre Gesicht der Sozialdemokratie.
    Die Phantasie der Menschen kennt auch in der Verbitterung keine Grenzen. So werden im Kampf bevorzugt Ängste geschürt, Kinder und Frauen als zukünftige Opfer dargestellt, während Männer sich als Retter der Ehre und der
alten Ordnung hervortun. Alle Mädchen und Frauen, die
ich im Rahmen einer Umfrage im Wolfsgebiet ansprach,
äußerten Angst vor den Wölfen, aber kein einziger Junge
und auch kein Mann. Sie hatten nur Angst um ihre Kinder und ihre Frauen, um ihre Schafe und natürlich um ihre
Elche – sowie einen unbändigen Haß auf die Wölfe.
    Die Geschichte kommt uns bekannt vor. Sie ist so alt
wie das Märchen vom Rotkäppchen, das zuerst vom Wolf
gefressen (oder vielleicht nur verführt?) und dann vom
Jäger gerettet wurde. Rotkäppchens von diesem Erlebnis
herrührende Angst, die Angst aller Frauen und Mädchen
vor dem »bösen Wolf« ist der Vorteil des Mannes, dient
zur Rechtfertigung seiner Privilegien, und zu ihnen gehört
die Jagd.
    Inzwischen haben sich die Wogen etwas geglättet. Eine
weitere Wölfin bringt jetzt in Värmland alljährlich einen
Wurf zur Welt. Zu spektakulären Abwanderungen kommt
es nicht mehr. Vermutlich haben sich die Wölfe in der Gegend »etabliert«. Ab und zu wird einer von ihnen illegal
erschossen oder, wie in einem Fall, absichtlich mit dem
Auto gejagt und überfahren. So hält sich der Bestand bislang relativ stabil bei weniger als zehn Tieren. Das wird,
wie wir heute wissen, auf Dauer nicht ausreichen. So diskutiert man viel über die für eine langfristige Sicherung
des Bestandes notwendige Mindestzahl, die man aber in
Relation setzen muß zu der von der Bevölkerung allmählich akzeptierten Höchstzahl.
    Die Unterschiede könnten nicht größer sein: zweihundert auf der einen und zehn auf der anderen Seite. Aber
immerhin, ein neuer Anfang ist gemacht.
Die Klage der Wölfe
    Als ich im Januar 1978 die letzten Sätze zur ersten Ausgabe
dieses Buches zu Papier brachte, kam gerade Kunde vom
Abschuß des letzten der neun aus ihrem Gehege im Bayerischen Wald ausgebrochenen Wölfe. Zwei Jahre lang hatte er
sich im Grenzgebirge zwischen Bayern und Böhmen halten
können ! So verfaßte ich einen Nachruf auf diesen »gejagten
Jäger«, voll düsterer Ahnungen von unser aller Bedrohung
infolge zunehmender Umweltzerstörung, für die mir des
Menschen Umgang mit dem Wolf symptomatisch erschien.
Sei er einst Symbol für unsere Angst vor der Natur und
für unseren Kampf gegen sie gewesen, schrieb ich, so sei er
jetzt Symbol für unsere Angst um die Natur. Hierbei geht
es nicht um die Wiederherstellung intakter ursprünglicher
Lebensgemeinschaften. Dies ist ohnehin eine fragwürdige
Vorstellung ; für die Menschen früherer Zeiten jedenfalls
war die unberührte Natur eher furchterregend und ihre
»Zähmung« eine große Kulturleistung. Nein, es geht um
das Maß unserer Entfremdung von der Natur, um den Wolf
als Indikator für unsere Fähigkeit, uns in natürliche, wenn
auch von uns mitbestimmte Lebensabläufe einzugliedern,
statt gegen sie zu verstoßen oder uns gar außerhalb von
ihnen zu stellen. Und es geht auch um unsere Sehnsucht
nach schöpferischen Freiräumen, in denen nicht alles nach
der schieren Nützlichkeit beurteilt wird.
    Seit jenem »Nachruf« hat sich auf der Welt vieles verändert – leider nicht nur zum Besseren. Eine Milliarde
mehr Menschen leben jetzt auf der Erde. Demgegenüber
sind so manche Kulturen kleiner Völker untergegangen,
sind die Nashörner und die Elefanten Afrikas fast ausgerottet und der tropische Regenwald überall weiter abgeholzt worden, der Rhein mehrmals bis zur Mündung vergiftet, die Adria von einem Algenteppich und die Küsten
Alaskas ebenso von einem Teppich aus Öl beinahe erstickt
worden. Man hat das Ozonloch entdeckt und das Waldsterben, und das Weltklima droht vollends aus dem Lot
zu geraten. Im ukrainischen Tschernobyl ist ein Kernkraftwerk, im indischen Bhopal ein Giftgastank in die
Luft geflogen.
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