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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause
Autoren: Rose Tremain
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erinnert.«
    Christy und Jasmina planten, drei Tage in Baryn zu bleiben.
    »Was wir auf jeden Fall sehen wollen, während wir hier sind«, sagte Christy zu Lev, »ist die Stelle, wo Auror war. Wir möchten diese Hügel sehen, die du beschrieben hast, und das neue Staubecken. Wir möchten all das im Geiste mit zu uns nach England nehmen.«
    Lev zögerte. Er fuhr nur selten zum Staubecken, hatte fast nie Zeit oder Lust dazu. Die riesigen Ausmaße des Staudamms, das Donnern des fallenden Wasser und der Krach der Turbinen flößten ihm eine spröde Art von Ehrfurcht ein, die jedes Ressentiment verhinderte. Doch wenn er die steile Straße oberhalb des Damms entlangfuhr, dorthin, wo das Wasser sich in seinem von den umliegenden Hügeln eingefassten Tal über dem ertrunkenen Dorf ausbreitete, wurde er melancholisch. Was er ammeisten hasste − mehr als den Verlust der alten Häuser − war, dass man die Leichen, auch die seines Vaters Stefan, aus dem stillen, ländlichen Friedhof geholt und auf dem städtischen Friedhof in Baryn wieder beigesetzt hatte. Dort, wo jetzt ununterbrochen die Baustellenfahrzeuge vorbeilärmten. Häufig träumte er von den wilden Margeriten, die in der Nähe von Stefans Grab gewachsen waren. Damals waren sie für ihn der Inbegriff von Frühlingsduft gewesen, und jetzt war dieser Duft verschwunden.
    Aber er gab Christys Bitte nach. Er bat Rudi, sie im Tschewi zu fahren, damit er, falls die Gefühle ihn überwältigen sollten, seinen verständnisvollen Freund an der Seite hätte.
    Sie unternahmen die Fahrt an einem Sonntagmorgen, der schön und warm begann. Rudi und Lev saßen vorne im Wagen, auf der frisch polierten Polsterung, und Christy und Jasmina hinten.
    Der tüchtige, Benzin schluckende Tschewi brachte sie mühelos aus der Stadt heraus und auf die alte Straße nach Auror. Vorbei ging es am verlassenen Holzhof und den grauen Hängen weiter oben, wo noch immer keine neuen Bäume wuchsen. Das Donnern des Staudamms hörten sie schon lange, bevor sie ihn erreichten.
    Sie verstummten, als dieser Lärm immer lauter wurde. Lev sah, wie Christy besorgt aus dem Fenster blickte, als spürte er das erste Rumpeln eines Erdbebens oder irgendeiner anderen Katastrophe, aus der es kein Entkommen gab.
    Am Rand des Staudamms stiegen sie aus dem Wagen und staunten. Jasmina machte Fotos mit einer Wegwerfkamera. Die Augustsonne warf ihr stumpfes, blendendes Licht auf die irreale Szenerie. Die hochwirbelnde Gischt des Wasserfalls legte sich wie Regen auf ihr Haar und drückte es platt.
    »Mein Gott«, sagte Christy. »Was Menschen sich bloß alles ausdenken! Da kann man es ja wirklich ganz schön mit der Angst kriegen.«
    Sie setzten die Fahrt fort. Weiter flussaufwärts, dort, wo das Staubecken eine beträchtliche Tiefe erreichte, wurde die Welt fast vollkommen still, und man konnte wieder Vögel zwitschern und Insekten summen hören. Rudi parkte den Tschewi im Schatten hoher Kiefern, und alle vier stiegen aus und wanderten hinunter zum Ufer. Kleine Wellen brachen sich zu ihren Füßen.
    »Jede Menge Fische«, sagte Rudi. »Was, Lev?«
    Ja, dachte Lev. Konzentrier dich darauf, auf die Fische im See, darauf, wie das Sonnenlicht, das aufs Wasser fällt, die Augen blendet. Denk nicht an Auror dort unten in der Dunkelheit. Denk nicht an die Vergangenheit.
    Regungslos stand er da, zündete sich eine Zigarette an, mochte aber dann den Geschmack nicht und warf sie weg. Nach einer kleinen Weile spürte er Christys Hand auf seinem Arm. »Wir wollen hier nicht lange bleiben«, sagte Christy leise, »weil ich mir denken kann, wie es in dir aussieht. Das kann ich wirklich, und weißt du, warum? Irgendetwas hier erinnert mich an Irland. Etwas Außerordentliches. He, Kumpel, hörst du auch, was ich sage? Etwas Wildes und Schönes und sehr Wehmütiges.«

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Danksagung
    Mein großer Dank gilt Jack Rosenthal, der mir zeigte, wie man Spargel richtig erntet, und mir seine polnischen Feldarbeiter vorstellte, von denen ich wahre und unschätzbare Geschichten aus Osteuropa erfuhr. Ebenso danke ich Alan Judd, der mir mit seinen beeindruckenden Kenntnissen über Autos und Motoren half, das »Tschewi«-Drama korrekt darzustellen. Susan Hill danke ich für ihre freundliche und hilfreiche Vermittlung von Polizeikontakten; David Lightbody, Vivien Green, Caroline Michel und Alison Samuel für ihre nützlichen Vorschläge. In Liebe und Dankbarkeit bin ich Richard Holmes, El und Johnny Lightbody sowie Brenda und David
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