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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher
Autoren: Ferdinand Decker
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wird Zeit, die zweite Phase des Projekts Theodora einzuleiten. Ein Anfang ist gemacht; sie weiß, wer ich bin. Wenn wir uns sehen, nickt sie mir zu. Manchmal lächelt sie mich an. Natürlich nur, wenn es nicht auffällt. Sie will mehr, da bin ich mir sicher, aber sie traut sich nicht. Ihre Schüchternheit macht mich erst richtig geil. Die zweite Phase, das heißt: Ich muss mehr für sie werden als nur ein netter Kollege. Wir müssen uns einmal außerhalb des Büros treffen. Ich lade sie ins Kino ein, danach trinken wir was und unterhalten uns über den Film … wir haben genau dieselbe Meinung, finden den Film gleich gut oder schlecht, gute Kameraarbeit, ja, aber die Handlung war doch eine lange Kette von Klischees … oder sie findet den Film gut, ich finde ihn schlecht, dann sieht sie gleich, dass wir nicht in allem einer Meinung sind, das macht auch einen starken Mann aus, dass er eine eigene Meinung hat und der Frau nicht immer nach dem Mund redet.
    Es ist Donnerstag, also der Tag, an dem sie länger arbeitet. Ich habe mir eine Schachtel Zigaretten gekauft, Gauloises, sie raucht Gauloises rot. Trotzdem habe ich mich nach längerem Zögern für Blau entschieden. Wenn ich ihr eine anbiete, sieht sie, dass ich auch Gauloises rauche, aber die starken, nicht die roten. »Ja«, sage ich dann, »manchmal kaufe ich auch die roten, aber eigentlich mag ich die blauen doch lieber.« Und mit einem Lächeln gebe ich ihr zu verstehen, dass es meiner Bewunderung für sie keinen Abbruch tut, dass sie die roten raucht und nicht die blauen wie ich. Ich habe auch ein wenig geübt mit dem Rauchen, wegen dem Husten, das war schon peinlich. Jana war mit einer alten Freundin im Kino. Ich habe auf einem Spaziergang drei Zigaretten geraucht. Es ging gut, kein Husten, kein Bauchweh. Danach habe ich die Zähne geputzt – die Zunge auch, das ist wichtig! – und meine Hände mit Seife geschrubbt. Ich hatte kein Bauchweh nach dem Rauchen, keine trockenen Lippen, ich fühlte mich prima. Ich bin echt ein Gauloises-Blau-Typ, glaube ich.
    Statt meiner alten Lederjacke ziehe ich mein helles Jackett an, aus Leinen, elegant und leger zugleich. Ich bin kein auffällig schöner Mann, das muss ich zugeben. Emil hat einmal gesagt, ich hätte ein Durchschnittsgesicht. Das stimmt nicht ganz. Wenn ich einen Dreitagebart stehen lasse, sehe ich ziemlich verwegen aus. Ich habe schwarzes Haar, das macht ordentliche Stoppeln. Dazu ein Hauch Aftershave, und ich habe vor keiner Frau mehr Angst.
    »Warum das Jackett?«, fragt Jana.
    »Warum nicht?«, frage ich zurück. »Steht es mir etwa nicht?« Angriff ist die beste Verteidigung. Jana küsst mich spontan auf den Hals. Das tut sie nicht oft.
    »Ausgezeichnet«, haucht sie. Dann schmiegt sie sich an meine Brust. »Machen wir heute Abend was zusammen?«
    »Ich muss los«, sage ich. Wenn sie so schmusig wird, kriege ich immer ein komisches Gefühl. Ich will nicht, dass Jana etwas merkt. Das hält sie nicht aus. Und ich halte das Geschrei nicht aus, oder die traurigen Blicke, ich kann mir das alles viel zu gut vorstellen.
    »Ich muss heute lange arbeiten«, sage ich. »Ist viel zu tun. Lieber morgen.«
    Jana fällt von mir ab wie ein reifes Stück Obst und rollt auf die Eckbank.
    »Dann eben nicht«, sagt sie enttäuscht.
    »Bitte, Jana, natürlich habe ich Lust. Wollen wir am Wochenende rausfahren?«
    »Du bist lieb«, sagt sie und trinkt ihren Tee. Ich nehme meine Tasche und gehe so schnell wie möglich. Jana hinterlässt immer so ein komisches Gefühl bei mir. Sie ist eine erwachsene Frau, unabhängig, sie regelt die meisten Dinge, die es zu Hause zu regeln gibt – Telefonrechnung, Reparaturen und so weiter, ich mach höchstens mal die Wäsche –, eigentlich macht sie all die Männersachen. Trotzdem hab ich immer das Gefühl, als wäre sie abhängig von mir. Obwohl sie mit ihren Übersetzungen mehr Geld verdient als ich! Jana übersetzt Offizielles für Menschen, die aus dem Ausland kommen, Ausweise, Zeugnisse und so weiter. Sie ist schnell und zuverlässig und ihre Kunden sind ihr immer furchtbar dankbar, obwohl sie sich dumm und dämlich bezahlen. Die Konkurrenz macht es billiger, aber Jana hat sich einen Namen gemacht, alle wollen zu ihr, wenn sie es sich leisten können, wahrscheinlich, weil sie so einen unerträglich kompetenten Eindruck macht. Sie ist viel intelligenter als Theodora. Aber sie ist nicht so groß, ihre Augen funkeln nicht so geheimnisvoll, und ihre Brüste stehen zu weit
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