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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast
Autoren: S Jones
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die Vorderbeine des Ponys, durch das Gewicht des Hinterteils überlastet, nachgaben.
    Beide Knie knickten ein, wie um einen Purzelbaum zu schlagen, und Charlotte, die auf dem glitschigen Boden ebenfalls den Halt verlor, schrie auf. Ihr Schrei galt allerdings nicht dem Sturz, sondern hatte einen anderen Grund.
    Als das Pony ins Stolpern geriet, erblickte sie nämlich – durch ihre Haarsträhnen hindurch, halb verborgen in den verschwommenen Klumpen der aufgehäuften Erde – das weiße Gesicht von Charlie Traversham-Beechers, im Matsch vergraben. Seine Augen waren offen und sahen sie an. Noch während sie schrie, senkte sich ein zitternder Huf des Ponys auf das Gesicht hinab. Und fand Halt. Das Pony stand. Der Sturz war aufgehalten worden. Lady warf den Kopf hoch. Das Gesicht des Mannes, noch tiefer in den Matsch hineingepresst, war verschwunden.
    Das Pony war in Sicherheit. Es zitterte zwar, aber es war in Sicherheit, und Charlotte merkte, entsetzt und fassungslos, dass sie anfing, drucksende und schluchzende Geräusche von sich zu geben. Ihre Gliedmaßen, ihre Finger, ihr Kopf, ihre Innereien – alles bebte. Nur mit Mühe gelang es ihr, den Mund wieder zu schließen; angestrengt versuchte sie, ihre Fassung wiederzufinden.
    »In Ordnung, Smudge?«, krächzte sie.
    Smudge, immer noch auf dem Rücken des Ponys, hatte die Erscheinung zwar nicht gesehen, war aber über die ganze Situation immer noch so erschrocken, dass sie nur nicken konnte.
    »Sollen wir weitergehen?«
    Sie gingen weiter.
    Matsch und Steine unter Charlottes völlig ruinierten Schuhen waren wieder nichts weiter als Matsch und Steine. Kein Körper war mehr unter ihnen zu sehen. Kein Gesicht eines Toten war da, auf das man treten konnte, nur der glitschige, provisorische Hang der Treppe.
    Von oben reckten die Mitglieder des Haushalts die Hälse, von unten beobachteten die fahlen Besucher das Geschehen in besorgtem Schweigen.
    Noch ein paar Schritte – das Pony hätte jetzt hinunterspringen können, wenn es gewollt hätte –, und sie hatten den ebenen Boden erreicht.
    Vier Ponybeine und zwei menschliche standen wieder auf festem Grund.
    »So«, sagte Charlotte, schluckte schwer und gab ein Lachen von sich, das wie ein Schluchzen klang.
    Die Zuschauer – selbst die erschöpften Reisenden – brachen in kurzen, schwachen Applaus aus.
    Smudge strahlte auf sie hinab. Dann glitt sie dankbar vom Rücken des Ponys in die Arme ihrer Mutter.
    Charlotte küsste sie auf den Scheitel. Smudge dachte, dass es eine gute Sache war, dass das Kleid ihrer Mutter sowieso ruiniert war und sie es nicht mit ihrer schmutzigen Umarmung verderben konnte.
    Ein Hauch von Milde lag in der Luft, als Emerald und Ernest Levi und das erleichterte Pony in den Stall zurückführten. Das Quartier des Pferdeknechts war dunkel und immer noch leer. Sobald sie das Pony in seine Box gebracht hatten, wandte es sich ab und machte sich hungrig über das Heu in seiner Futterkrippe her. Anscheinend hatte es das Abenteuer völlig unbeschadet überstanden. Emerald gab Levi einen Kuss auf die Nüstern, und sie und Ernest gingen Hand in Hand zum Haus zurück. Der Geruch des Frühlings, der nach dem heftigen Regen in der Luft lag, umhüllte sie wie ein Zauberbann.
    Am alten Haus angelangt, betraten sie es durch die große Eingangstür, machten sie hinter sich zu und wurden sofort vom Geruch eingehüllt, der von den Reisenden ausging.
    »Sie müssen froh sein, endlich ins Bett zu können«, sagte Emerald, als sie den Riegel vorschob.
    Über ihnen, auf der breiten Galerie, nahmen die anderen letzte kleine Veränderungen am provisorischen Schlafsaal vor, aber die Passagiere – mit der für sie typischen Voreiligkeit – gingen bereits langsam, aber entschlossen die Treppe hinauf.
    »Sie können hochkommen«, rief Clovis von der Galerie.
    Sie ließen ihre Habe liegen und stiegen schwerfällig die Stufen hinauf. Die noch unten standen, flüsterten hinter ihnen. Einer nach dem anderen erreichten sie die schiefe Galerie über der großen Halle – ihr merkwürdiges Schlafzimmer.
    Emerald und Ernest drängten sich so höflich es ging durch die Menge. Sie mussten die Luft anhalten, um nicht vom Gestank überwältigt zu werden, und kamen atemlos oben an.
    »Ist es gut so?«, fragte Clovis mit Blick über die Galerie.
    Die Bettenreihen erwarteten ihre Benutzer. Aus Schafhürden, Kisten und Brettern gemacht, aber ausgepolstert mit dicken Schichten des weichsten Bettzeugs, das es auf Sterne gab, waren sie hier
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