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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf
Autoren: Emmy von Rhoden
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durcheinander, sie flogen voraus und träumten vom Wiedersehen – und sie kehrten zurück und führten sie wieder nach Lindenhof. Es hatte ihr himmlisch dort gefallen! Der Abschied war ihr beinahe schwer geworden. Leo hatte ihr die Hand geküßt und sie hatte es sich gefallen lassen. Ob das wohl recht war? Am Ende hätte sie ihm die Hand entziehen müssen? – »Ach,« seufzte sie laut, zum Glück war sie allein im Koupee, »ach! Es ist doch zu öde, wenn man gar nicht weiß, wie man sich zu benehmen hat! Am Ende spottet er jetzt über mich!« Sie errötete bei diesem furchtbaren Gedanken. Da fiel ihr Blick auf den Rosenstrauß, und wie sie den süßen Duft desselben einatmete, stand plötzlich sein Bild lebhaft vor ihr. Ein wunderbares Gefühl überkam sie, aber es war ihr fremd und sie schreckte davor zurück. Sie legte den Strauß aus der Hand und erhob sich. Sie wollte nicht weiter an ihn denken, sie wollte es nicht! 
    Um sich zu zerstreuen, blickte sie zum Fenster hinaus. Erst auf der einen, dann auf der andern Seite. Aber sie sah nicht viel, nichts als leere Stoppelfelder, das war langweilig. 
    Sie setzte sich wieder und nahm ihre Handtasche vor. Nachdem sie ein Weilchen darin gekramt, fiel ihr ein Buch in die Hände, das Nellie ihr hineingesteckt hatte, damit sie Unterhaltung habe. Sie hatte gar nicht daran gedacht, jetzt griff sie freudig nach Chamissos Gedichten. Im Begriffe, das Buch zu öffnen, fiel ihr etwas ein. »Halt,« sagte sie für sich, »jetzt werde ich das Orakel befragen, wie Flora uns gelehrt hat.« Sie schlug drei Kreuze über das Buch und sah gen Himmel dabei, dann öffnete sie es schnell und die erste Zeile, auf die ihr Blick fiel, hieß: 
    »Helft mir, ihr Schwestern, Kränze zu winden –« 
    »Unsinn! Ich will es nicht gelten lassen!« rief sie, »also noch einmal!« Das Buch wurde wieder geschlossen und recht, recht fest zusammengedrückt, dann wieder die drei üblichen Kreuze, wieder langsam und feierlich geöffnet – und siehe da, dieselben Worte gaben ihr Antwort auf ihre Frage. 
    »Sonderbar! furchtbar sonderbar!« dachte sie sinnend und einen Augenblick war sie in Versuchung, der prophetischen Stimme zu glauben, dann aber siegte ihre gesunde Vernunft. 
    »Es ist doch nur ein Zufall und die ganze Geschichte dummes Zeug!« Mit diesem vernünftigen Gedanken gab sie alle Schicksalsfragen auf und vertiefte sich in Chamissos herrliche Gedichte. Einige Male freilich ertappte sie sich auf dem Wege nach Lindenhof und Leos Bild neckte sie aus den Zeilen, aber sie wehrte sich tapfer gegen diese Traumbilder. Sie schwanden von selbst, je näher sie der Heimat kam. Sie legte das Buch beiseite und blickte zum Fenster hinaus. Schon erkannte sie verschiedene Ortschaften, die in der Nähe von Moosdorf lagen, schon konnte sie den Bahnhof erkennen! Ihr Herz schlug vor Erwartung und Freude, ihre Augen flogen voraus und jetzt erkannte sie die Eltern, die auf dem Perron standen, um sie in Empfang zu nehmen. 
    Welche Seligkeit ein Kind empfindet, wenn es nach langer Trennung zu den geliebten Eltern zurückkehrt, das, meine jungen Leserinnen, kann nicht geschildert, sondern muß empfunden werden. Ilse lag in den Armen ihres Vaters und dachte an nichts weiter, als an das Glück, wieder daheim zu sein. 
    »Bist du groß geworden!« rief der Oberamtmann und betrachtete sie mit stolzer Freude; »ich hätte dich kaum wiedererkannt! Als halbes Kind gingst du von uns und jetzt kehrst du heim als junge Dame!« 
    Er hielt sie noch immer in seinen Armen und konnte sich nicht satt sehen an ihr. Sanft entwand sie sich ihm, noch hatte sie die Mutter nicht begrüßt, die mit Thränen im Auge daneben stand und ihr die Arme entgegenstreckte. Ilse flog an ihr Herz und umschlang sie innig. 
    »Meine liebe Mama!« das war alles, was sie sagen konnte. Und Frau Macket verstand sie, innig drückte sie ihr Kind an sich, sie wußte, daß sie jetzt sein Herz für immer gewonnen hatte. 
    »Hier ist noch jemand, der dich begrüßen will, Kleines,« unterbrach der Oberamtmann die kleine rührende Szene, die ihn selbst schon ganz weichmütig machte, »sieh, Onkel Curt, berühmter Maler und Afrikareisender, möchte gern deine Bekanntschaft machen!« 
    Ilse reichte ihm die Hand und stand nun einem wirklichen Künstler gegenüber. Ob sie ihn »reizend« fand? – Als sie ihn ansah, den mittelgroßen, etwas breitschultrigen Mann, in der Samtjoppe, die mehr bequem als elegant saß, mit dem breitkrempigen Hute, der ein braun
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