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Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Titel: Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Autoren: Edith Kneifl
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ihr aufmerksam zugehört, wenn sie ihm erzählte, was sich dort unten abspielte, welche Kutsche gerade die Stallungen verließ, welche Adeligen gerade vorbeispazierten, wer mit wem Arm in Arm ging. Wenn Kaiserin Elisabeth vorgefahren kam, um im Oktogon in den Hofstallungen an der Longe ihre Reitstunden zu nehmen, war der kleine Gustav auf den Schoß der Großmama geklettert und hatte versucht, einen Blick auf die schöne Sisi zu ergattern. Einmal hatte ihn sein Großvater sogar ins Oktogon mitgenommen. Damals hatte sich Gustav unsterblich in die Kaiserin verliebt.
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    Seine Tante hatte mit dem Abendessen auf ihn gewartet. Josefa war schon zu Bett gegangen. Die beiden Untermieter ließen sich nicht blicken.
    Da Gustav beinahe alle weiblichen Wesen, die im Laufe der Jahre bei ihnen untergekommen waren, verführt hatte, nahm Vera seit kurzem nur mehr männliche Untermieter.
    Josefa hatte den Küchentisch vor dem Fenster gedeckt. Seit sie weniger Platz zur Verfügung hatten, war die Küche zu ihrem beliebtesten Treffpunkt avanciert.
    In dem geräumigen Vorzimmer standen zwei riesige Kästen, in denen die Wäsche und andere Haushaltssachen aufbewahrt wurden. Von diesem Vorraum aus gingen drei Türen weg. Die erste führte in die vermieteten Räume. Die zweite in Gustavs Zimmer. Seine Tante hatte ihm den ehemaligen Salon überlassen, da sie nicht Tür an Tür mit den Untermietern wohnen wollte. Durch die dritte Tür kam man in die große Küche, an deren anderem Ende es wieder zwei Türen gab. Die eine führte in die Dienstbotenkammer, die Josefa heute allein bewohnte, die andere in Tante Veras Gemächer. Sie hatte ein eigenes kleines Ankleidezimmer, in dem eine gusseiserne Wanne stand, und ein fast ebenso großes Zimmer wie Gustav. Seines wirkte nur viel größer, da es weniger vollgeräumt war.
    Tante Vera hatte in Gustavs Augen jede Menge Qualitäten, Sinn für Ordnung gehörte nicht dazu. In ihrem Ankleideraum stapelten sich sich auf dem Boden Bücher und Zeitungsberge. Auf der kleinen Chaiselongue lagen Kleider und am Spiegel hingen Tücher und Schals aus Musselin, Gaze oder Tüll. Die Türen ihrer Schränke ließen sich kaum mehr schließen und wenn man nachts, ohne Licht, in ihr Zimmer wollte, stolperte man garantiert über ihre Schuhe oder anderes Zeug, das in ihrem Ankleideraum herumkugelte. Ihr wuchtiger Schreibtisch, der auf einer kleinen Empore vor dem Fenster stand, quoll über von Papieren, Broschüren und Schreibwerkzeug. In den Bücher-regalen herrschte eine ähnliche Unordnung und in den Schubladen ihrer beiden Kommoden fand sie selbst nichts mehr. Nur das kleine runde Marmortischchen und die beiden Thonetsessel, die in der Mitte des Raumes standen, wurden von ihr jeden Morgen leergeräumt. Denn sie bekam häufig Besuch von einer ihrer zahlreichen Freundinnen und Mitkämpferinnen. Gustav wusste, dass sie dann eine Tagesdecke über ihr Bett breitete und ihre Kleider und Schuhe in den Schrank stopfte.
    Tante Vera war seit ihrer Jugend eine glühende Verfechterin der Frauenrechte. Gustavs Mutter hatte sich oft über die scheinbar aussichtlosen Kämpfe ihrer jüngeren Schwester lustig gemacht und sie auch Fremden gegenüber manchmal als Fräulein Blaustrumpf bezeichnet. Trotzdem hatte sie großen Respekt vor ihrer Klugheit gehabt.
    Als Gustavs Großmutter erkrankte, kümmerte sich seine Tante mit Hilfe der Dienstboten um sie. Ein paar Jahre später erlitt sein Großvater einen Schlaganfall. Zum Glück blieb ihm ein langes Leiden erspart. Als Gisela sieben Jahre lang dahinsiechte, war es wieder Vera, die sich fast rund um die Uhr um ihre ältere Schwester kümmerte. Heute, mit fünfzig, konnte sie endlich ihr Leben so führen, wie sie es sich immer gewünscht hatte, konnte sich ihre Zeit selbst einteilen, sich Tag für Tag ihren Büchern und ihrem Schreiben widmen und mit ihrem geliebten Neffen bis spät in die Nacht hinein diskutieren.
    Vera von Karoly war eine große schlanke Frau mit graublauen, wachen Augen und vielen Lachfältchen um den Mund. In ihrem dunkelblonden Haar hatten sich erst vor kurzem einzelne graue Strähnen breitgemacht. Wenn sie sich ein bisschen schminken würde und nicht dauernd dieselben langweiligen schwarzen, dunkelblauen oder grauen Kleider anhätte, würde so manch älterer Herr sie bestimmt auch heute noch hübsch finden, dachte Gustav. Doch seine Tante machte sich nicht viel aus ihrem Äußeren und schon gar nichts aus Männern.
    Nachdem Gustav sich umgezogen hatte, setzte er sich
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