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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
Autoren: Eliot Pattison
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dem Steinhaufen am Rand des Schreins und hielt einen verwitterten mani -Stein in der Hand. »Den habe ich am Rand der Schnellstraße gefunden«, sagte sie schüchtern. »Er lag da ganz allein und wäre von irgendeinem Laster überrollt worden. Ich habe ihn aufgehoben und in meinen Wagen gelegt. Es kam mir so vor, als müsste er anderswo sein.« Sie sah Shan fragend an und legte den Stein oben auf den Haufen. »Ist das richtig?«
    Er nickte langsam.
    Sie kam zögernd näher, als sei sie sich nicht sicher, wie er reagieren würde. Statt ihrer Uniformjacke trug sie eine leuchtend rote Bluse und eine der groben Filzwesten, wie die Tibeter sie auf dem Markt verkauften.
    »Du siehst aus wie eine tibetische Bäuerin, die zu ihrer Herde will.«
    »Ist das gut?« Sie schien sich nur mit Mühe ein Lächeln abzuringen.
    »Sehr sogar, Meng. Mehr als gut.«
    Sie trat an seine Seite und deutete auf die anderen Opfergaben. »Zeig mir, was zu tun ist.«
    Shan reichte ihr einen der Lappen, die er benutzte.
    Sie arbeiteten schweigend. Während Meng die kleinen Figuren reinigte, wirkte sie wie eine Novizin. Shan erklärte ihrdie Gottheiten im Fels und wies auf die kleinen Schädel darunter hin, die für die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz standen.
    Als sie fertig waren, stiegen sie den Hang weiter hinauf und unterhielten sich über Kleinigkeiten, über Geschichten aus ihrer Jugend und die Lerchen, die um sie herumflatterten. »Ich habe gehört, das sei ein magischer Berg«, sagte Meng und deutete auf den schneebedeckten Gipfel des Yangon, der in Sicht kam.
    »Es heißt, dass zumindest die Menschen, die in seinem Schatten leben, bisweilen Magie finden«, fügte Shan hinzu.
    Meng sah ihm tief in die Augen, als wolle sie ihm unbedingt etwas sagen, wandte sich dann aber ab. Sie schienen beide beschlossen zu haben, nicht über die Dinge von unten im Tal zu sprechen, nicht über den Verrat und Tod und auch nicht über das Unheil, das Shan am nächsten Tag auf sich herabbeschwören würde. Aus Mengs Wagen holten sie eine Decke und einen Beutel kalter Teigtaschen, die sie aus der Stadt mitgebracht hatten, und legten sich dann unter den sommerlichen Sternenhimmel. Sie lauschten den Rufen der Ziegenmelker und sahen den Lichtstreifen eines Meteoriten auf den riesigen Berg zurasen.
    Bei Tagesanbruch weckte Shan sie. »Ich muss los«, sagte er und zupfte ihr Gras aus dem Haar. »Es sind noch ein paar Vorkehrungen zu treffen.«
    Einen Moment lang lag sie reglos da, die Augen groß und unwissend. Dann schloss sie die Lider und seufzte, und als sie sie wieder öffnete, lag in ihrem Blick das Gewicht der ganzen Welt.
    Schweigend legten sie die Decke zusammen und stiegen den Hang hinab. Shans Pick-up war schon zu sehen, als sie an einem kleinen Steinhaufen vorbeikamen, um dessen Basis eine verwickelte Schnur mit Gebetsfahnen lag. Sie entwirrten die Leine und befestigten sie aufs Neue an der Spitze. Meng fingan, die zerknitterten, schmutzigen Fahnen zu glätten und abzuwischen. »Ich habe gehört, es sind bestimmte Worte erforderlich, um den Fahnen Macht zu verleihen«, sagte sie.
    Er brachte ihr das Mantra bei. »Ich muss los und alles vorbereiten«, sagte er.
    Sie hielt ihn kurz am Arm zurück. »Wir können den Mörder nicht einfach davonkommen lassen, Shan. Er muss bestraft werden.«
    Shan sah die Qual in ihrem Blick. »Er wird bestraft, Meng. Er wird durch die Wahrheit bestraft. Er wird aus dem Tal verstoßen und für alle Mönche gebrandmarkt sein, so dass er seinen Auftrag niemals erfüllen kann. Das Institut wird bloßgestellt und kann keine Agenten mehr aussenden. So läuft das in diesem Land. Er hat ein Verbrechen an Tibet verübt. Es wird eine Abrechnung geben, ob in diesem Leben oder dem nächsten.«
    Sie sah ihn an, als wolle sie widersprechen. »Und dafür bist du bereit, dich zu opfern?«
    »Falls das die einzige Möglichkeit ist, dann ja. Ich fürchte mich nicht vor dem Gefängnis, sondern davor, der Wahrheit im Weg zu stehen.«
    Sie schaute zurück zu dem Berg. » Yan que yong you hong hu zhi «, murmelte sie.
    Shan berührte sie. »Wie bitte?«
    Meng lächelte traurig. »Ach, nichts. Das hat meine Mutter immer über mich gesagt. Das Motto meines Lebens, würde sie es wohl nennen. Ich habe mit dem Berg gesprochen, nicht mit dir.«
    Doch Shan hatte die Worte verstanden. Kleiner Spatz, der von Schwänen träumt , hatte sie gesagt.
    Meng umarmte ihn plötzlich, sehr fest, sehr kurz, widmete sich dann der ersten Fahne und
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