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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard
Autoren: Robert Louis Stevenson
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diesen Worten machte sich der Doktor in nicht gelinder Aufregung die Straße hinab und davon, und ließ den Jungen innerlich starr vor Staunen zurück.

Drittes Kapitel: Die Adoption
    Madame Desprez, eine rundliche Brünette, die auf den Rufnamen Anastasie hörte und außerordentlich gut anzusehen war, stellte mit ihren kühlen glatten Wangen, ruhigen dunklen Augen und Händen, die weder Kunst noch Natur hätten vollkommener gestalten können, einen angenehmen Typus ihres Geschlechts dar. Sie gehörte zu den Menschen, über die das Unglück wie eine Sommerwolke hinweggeht; in schlimmen Fällen pflegte sie vorübergehend die Stirn zu runzeln, bis eine einzige senkrechte Falte hervortrat, die aber im nächsten Augenblick wieder verschwand. Sie hatte viel von der Gelassenheit einer zufriedenen Nonne, ohne jedoch, wie diese, fromm zu sein; denn Anastasie war eine recht weltliche Natur mit einer Schwäche für Austern und alten Wein und gewagte Scherze, und ihrem Manne mehr um ihrer selbst als um seinetwillen ergeben. Sie war unverbrüchlich guter Laune, wenn auch ohne jede Opferwilligkeit. In jenem hübschen alten Hause mit dem grünen Garten dahinter und bunten Blumen vor den Fenstern zu leben, vom Essen und Trinken stets das Beste zu haben, ein Viertelstündchen mit der Nachbarin schwätzen zu können, niemals ein Mieder und nur bei Besorgungen in Fontainebleau ein Kleid tragen zu müssen, ständig mit gepfefferten Romanen versorgt zu werden und ohne Grund zur Eifersucht mit Doktor Desprezverheiratet zu sein, füllte den Kelch ihrer Natur zum Überfließen. Wer Doktor Desprez aus seiner Junggesellenzeit her kannte, wahrend der er zwar nicht minder voll von Theorien, aber von ganz Andersartigem, gesteckt hatte, schrieb seine gegenwärtige Philosophie dem Studium von Anastasie zu. Ihre animalische Genußfreude pflegte er zu rationalisieren und, vielleicht vergeblich, zu imitieren.
    Madame Desprez produzierte sich in der Küche als Künstlerin und verstand den Kaffee bis zur Vollendung zuzubereiten. Sie besaß die Gabe der Ordnung, die sie auf den Doktor übertragen hatte. Alles stand an seinem Platz; was polierbar war, glänzte prachtvoll, und Staub war aus ihrem Reiche verbannt. Aline, ihr einziges Dienstmädchen, hatte nichts in der Welt zu tun als zu scheuern und zu putzen. So lebte denn Doktor Desprez in seinem Hause wie ein gut gemästetes Kalb und wurde nach Herzenslust verwöhnt und gehätschelt. Das Mittagsmahl war vortrefflich. Es gab eine reife Melone, einen Fisch aus dem Fluß in einer bemerkenswerten béarnaiser Sauce, Frikassee von einem fetten Huhn, ein Spargelgericht und Obst als Nachtisch. Der Doktor trank als eheliches Privileg eine halbe Flasche plus einem Glas, seine Frau eine halbe Flasche minus der gleichen Menge ausgezeichneten siebenjährigen Côte-Rotie. Dann wurde der Kaffee hereingebracht, mit einer Flasche Chartreuse für Madame, denn der Doktor verachtete derartiges Gebräu und mißtraute ihm, und dann überließ Aline das Paar den Freuden der Erinnerung und der Verdauung.
    »Es ist ein großes Glück, meine Teure,« bemerkte derDoktor, »dieser Kaffee ist adorabel – im großen und ganzen ein großes Glück – Anastasie, ich bitte dich, laß das Gift heute sein; laß es einen einzigen Tag und du wirst, bei meinem Rufe als Arzt, den Nutzen davon spüren.«
    »Was ist ein großes Glück, mein Freund?« erkundigte sich Anastasie, ohne auf seinen täglich wiederkehrenden Protest zu achten.
    »Daß wir keine Kinder haben, meine Schöne,« entgegnete der Doktor. »Je älter wir werden, um so öfter muß ich daran denken und um so mehr wächst meine Dankbarkeit gegen die Macht, die uns dieses Kreuz erspart hat. Wie sehr hätten nicht deine Gesundheit, mein Liebling, meine nachdenkliche Muße, unsere kleinen Leckerbissen darunter leiden müssen, welche Opfer hätten wir bringen müssen! Und zu welchem Zweck? Kinder sind der Inbegriff der menschlichen Unvollkommenheit. Die Gesundheit flieht vor ihrem Angesicht. Sie weinen, meine Liebe; sie stellen lästige Fragen; sie verlangen, daß man sie füttert, wäscht, erzieht, ihnen die Nase putzt. Und wenn man sie soweit hat, darin brechen sie einem das Herz, so wie ich dieses Stückchen Zucker zerbreche. Ein Paar ausgesprochene Egoisten wie du und ich sollten der Nachkommenschaft wie einer Untreue aus dem Wege gehen.«
    »Was du sagst!« meinte sie lachend. »Das sieht dir wieder einmal ähnlich – dich mit einer Sache zu brüsten, für die du nichts
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