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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger
Autoren: Monika Feth
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keine Macken hatte. Der an den Ampeln nicht ausging und ohne Stottern über die Landstraßen schnurrte. Aber es war ein noch besseres Gefühl, zu wissen, dass ich auch ohne diesen Luxus leben konnte.
    Und dann standen wir vor unserem Bauernhof.
    »Wunderschön«, sagte meine Mutter. Ihr Gesichtsausdruck jedoch sagte etwas anderes. Vielleicht lag es daran, dass heute die Sonne nicht schien und es kräftig geregnet hatte. Der Vorgarten war eine einzige schlammige Pfütze, und die kalte Feuchtigkeit, die noch in der Luft hing, hatte die Spuren des Verfalls sichtbarer gemacht. Sie drängten sich dem Auge förmlich auf.
    Die ausgetrockneten, rissigen Holzrahmen der Fenster  mussten dringend gestrichen werden. Die Dachziegel waren von Moos und Flechten überwuchert. Unter der verbeulten Regenrinne hingen bröcklige Schwalbennester und die Mauern waren mit altem Vogelkot beschmiert.
    Eine krumme Ölweide hatte einige der Waschbetonplatten, mit denen der Weg zur Haustür gepflastert war, mit ihren starken Wurzeln angehoben und wie Dominosteine ineinandergeschoben. Die Tannen, die zu hoch geworden waren, hatte man in der Spitze gekappt und wie traurige Schachfiguren stehen lassen.
    Der Geruch nach Katzenpisse stieg mir beißend in die Nase. Rasch schloss ich die Haustür auf, um in den Innenhof zu gelangen. Der würde meiner Mutter auch bei bedecktem Himmel gefallen.
    Tatsächlich blieb sie mitten im Hof stehen und schaute sich staunend um.
    »Zauberhaft«, sagte sie.
    Der Regen hatte den Staub von den Steinen gewaschen. Nicht mehr lange, und das Grün würde sprießen und den Hof in eine Oase verwandeln. Wir würden einen Tisch aufstellen und hier draußen sitzen und reden und lachen und endlich alle zusammen sein.
    »Wenn ihr Hilfe braucht …«
    »… wirst du alle Hebel in Bewegung setzen und uns einen Trupp von Handwerkern schicken, der in Wolken von Staub und Krach durch die Räume wirbelt und uns ein toprenoviertes Haus zurücklässt. Lieb von dir, Mama, aber wir wollen das lieber allein hinkriegen.«
    Ein Blick in Merles Gesicht zeigte mir, dass meine Freundin das anders sah. Aber sie hielt sich dankenswerterweise zurück.
    Meine Mutter zuckte bloß mit den Schultern. Ihre Friedfertigkeit überraschte mich. Kein Vorwurf? Keine Empfindlichkeit? Nicht mal der Versuch, mich von meiner Meinung abzubringen? Ich schaute sie genauer an. Etwas beunruhigte sie. Ich kannte sie lange und gut genug, um das zu erkennen.
    Nein, dachte ich. Nicht schon wieder.
    Ich war es leid, dass sie sich ständig Sorgen um mich machte. Zugegeben, Merle und ich waren schon einige Male in gefährliche Situationen geraten. Aber wir waren immer wieder herausgekommen. Wie alt musste ich werden, um von meiner Mutter wie ein gleichwertiger Mensch behandelt zu werden?
    Unsere Blicke begegneten sich. Und da wusste ich - ihre Besorgnis hatte nichts mit mir zu tun.
    »Willst du reden?«, fragte ich sie.
    »Reden?« Sie lachte ihr helles Lachen, mit dem sie Merle täuschen mochte, nicht jedoch mich. »Tun wir doch, Schatz. Die ganze Zeit.«
    Sie drehte sich um und spazierte ins Haus.
     
    Musik quoll aus dem alten Radio, breitete sich in der Werkstatt aus und sank zwischen den übrigen Geräuschen nieder. Niemand hörte hin. Nur der Lehrling pfiff manchmal mit, fröhlich, falsch und unbekümmert. Er leistete passable Arbeit, war aber alles in allem eine ziemliche Nervensäge. Ständig quatschte er und vergaß im nächsten Moment wieder, was er gerade gesagt hatte.
    »Ey, Manu!«, rief er jetzt quer durch den Raum. »Wann is Mittag?«
    Wenn er schon keine Armbanduhr trägt, dachte Manuel, kann er doch wenigstens auf die Wanduhr gucken, verdammt. Bin ich die Zeitansage?
    Ohne hinzusehen, wies er mit dem Daumen auf die fußballgroße Uhr über der Tür und richtete den Strahl seiner Lampe  erst auf den rechten, dann den linken Vorderreifen des aufgebockten Corsas. Der Mantel war beidseitig zerschlissen und das nach nur fünfzehntausend Kilometern. Klarer Fall von Materialermüdung. Aber der Hersteller würde das nicht zugeben und der Boss sich deswegen kein Bein ausreißen. Der Dumme würde wie immer der Kunde sein.
    Manuel wischte sich die Hände an einem Tuch ab, das steif war von Schmutz und getrocknetem Öl. Er würde die Reifen im Auftrag des Kunden reklamieren, und das ohne jegliche Aussicht auf Erfolg. Der Hersteller fand immer eine Möglichkeit, sich herauszuwinden, und dieser Kunde gehörte nicht zu der Kategorie derer, denen der Boss Kulanz
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