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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf
Autoren: Liza Marklund
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sich herausstellte, dass Bengtzon, die während ihrer Zeit als Geisel ein Exklusivinterview mit der Mörderin geführt hatte, sich weigerte, es zur Veröffentlichung freizugeben. Das Interview war auf dem Computer des ermordeten Olympia-Chefs festgehalten worden, und Schyman hatte es gelesen, der Text war sensationell. »Das wäre doch genau das, was diese Irre wollte«, hatte Bengtzon damals argumentiert. »Und da ich die Rechte an dem Interview habe, kann ich nein sagen.«
    Sie hatte gewonnen. Hätten sie den Artikel gegen ihren Willen gebracht, hätten sie eine Klage am Hals gehabt, das hatte sie ihm geschworen. Auch wenn Bengtzon den Prozess unter Umständen verloren hätte, entschloss Schyman sich angesichts des hohen Renommees, das diese Geschichte der Zeitung trotz allem eingetragen hatte, sie nicht herauszufordern.
    Sie ist nicht dumm, dachte Anders Schyman, aber vielleicht hat sie ihren Biss verloren.
    Er stand auf und wandte sich wieder seinen Diagrammen zu. Nun ja. Es würden sicher weitere Einsparungen nötig werden.
    Die letzten Sonnenstrahlen verbreiteten feuerrotes Licht im Flugzeug, obwohl es erst zwei Uhr nachmittags war. Annika hielt nach Lücken in der Wolkendecke unter ihr Ausschau, fand jedoch keine. Als der dicke Mann neben ihr ächzend die
Norrlands-Tidningen
aufschlug, bekam sie seinen Ellbogen in die Rippen.
    Sie schloss die Augen, zog sich ganz in sich selbst zurück, schottete sich ab von der rauschenden Belüftung, dem Schmerz nach dem Stoß in die Seite, von den Angaben des Kapitäns zur Außentemperatur und zum Wetter in Lulea.
    Stattdessen ließ sie sich mit tausend Kilometern in der Stunde transportieren. Ihr war schwindlig. Laute Geräusche überraschten sie in letzter Zeit auf eine Art, die ihr gänzlich neu war. Offene Flächen erschienen ihr unendlich groß, in engen Räumen bekam sie Beklemmungen. Ihre räumliche Wahrnehmung verzerrte sich oft derart, dass sie Probleme mit dem Abschätzen von Abständen bekam und ständig mit blauen Flecken übersät war, weil sie gegen Möbel, Wände, Autos und Bordsteine lief. Manchmal blieb ihr auch urplötzlich die Luft weg. Die Menschen in ihrer Nähe verbrauchten allen Sauerstoff, für sie blieb nichts mehr übrig.
    Doch das war alles nicht so schlimm, denn sie wusste, wenn sie nur ein wenig wartete, ging es vorüber, die Geräusche kehrten zurück, und die Farben wurden wieder normal, alles nicht so schlimm.
    Sie verdrängte die Gedanken, ließ sich einlullen und merkte noch, wie ihr die Kinnlade herunterfiel. Unmittelbar darauf waren die Engel da.
    Haare wie Regen,
sangen sie,
Lichtgestalt und Sommerwind, es ist nicht schlimm, Kirschenlinde …
    In panischer Angst fuhr sie auf ihrem Sitz in die Höhe und schlug gegen das heruntergeklappte Tischtablett, sodass der Orangensaft überschwappte. Ihr pochendes Herz übertönte alle anderen Geräusche. Der fette Mann neben ihr machte eine Bemerkung, aber sie hörte ihn nicht.
    Nichts versetzte sie so in Angst und Schrecken wie das Lied, das die Engel sangen. Solange sie in ihren Träumen geblieben waren, hatte Annika nichts gegen sie gehabt. Die Stimmen sangen in den Nächten für sie, einförmig und tröstend, sinnlose Worte von undefinierbarer Schönheit. Mittlerweile machten sie jedoch manchmal nach dem Aufwachen weiter, und das bereitete ihr große Sorgen. Sie schüttelte den Kopf, räusperte sich, rieb sich die Augen und versicherte sich, dass die Notebook-Tasche keine Saftspritzer abbekommen hatte.
    Als der stählerne Flugzeugrumpf vor der Landung die Wolkendecke durchbrach, war er von umherwirbelndem Eis umgeben. Durch das Schneegestöber erhaschte sie einen Blick auf das halb gefrorene Grau des Bottnischen Meerbusens, das von braunen, felsigen Schären und größeren Inseln unterbrochen wurde.
    Die Landung war holprig, der Wind zerrte an der Maschine.
    Sie kam als Letzte aus dem Flugzeug, nachdem sie rastlos hatte warten müssen, bis der fette Mann sich aus seinem Sitz erhoben, sein Gepäck aus der Ablage geholt und sich umständlich seinen Mantel angezogen hatte. Auf dem Weg hinaus überholte sie ihn und stellte zufrieden fest, dass er in der Schlange vor dem Mietwagenschalter weit hinter ihr gelandet war.
    Mit den Autoschlüsseln in der Hand eilte sie an den Taxifahrern am Ausgang vorbei, einer Ansammlung dunkler Uniformen, die lauthals lachten und mit ungeniert abschätzenden Blicken zu ihr herüberschielten.
    Die Kälte überrumpelte sie in dem Moment, als sie das Flughafengebäude
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