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Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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bitterernste Tetralogie. Man muß sie, wie gesagt, zweimal lesen: einmal wie einen Dashiell-Hammett- oder Simenon-Krimi und dann, vielleicht, nach einem versichernden Blick auf die Bibel und Shakespeare: wo es bekanntlich unter anderem auch um Kriminalfälle geht. Und nicht zuletzt.

Zur Dramaturgie von Dürrenmatts erstem Kriminalroman
von Gerhard P. Knapp

    Kritik an der Form des Detektivromans

    In den Theaterproblemen setzt sich Dürrenmatt von einer allzuschwer befrachteten, an den Klassikern orientierten Kunstauffassung ab. Die Schlußfolgerung verdeutlicht sein Postulat einer »bescheidenen« Literatur, einer Literatur für viele, die das Unterhaltsame mit dem Bedeutsamen vereint:
»Die Forderungen, welche die Ästhetik an den Künstler stellt, steigern sich von Tag zu Tag, alles ist nur noch auf das Vollkommene aus, die Perfektion wird von ihm verlangt, die man in die Klassiker hineininterpretiert – ein vermeintlicher Rückschritt, und schon läßt man ihn fallen. So wird ein Klima erzeugt, in welchem sich nur noch Literatur studieren, aber nicht mehr machen läßt. Wie besteht der Künstler in einer Welt der Bildung, der Alphabeten? Eine Frage, die mich bedrückt, auf die ich noch keine Antwort weiß. Vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo sie niemand vermutet. Die Literatur muß so leicht werden, daß sie auf der Waage der heutigen Literaturkritik nichts mehr wiegt: Nur so wird sie wieder gewichtig.«
    Die Entscheidung des Autors für den Detektivroman – entsprechend seiner Wahl der Komödie als Bühnenform – geht zunächst von der Annahme aus, daß es möglich sein muß, eine Gattung literarisch aufzuwerten, die von der Literaturkritik als ›zu leicht‹ befunden wird. Nicht nur ermöglichen ihm die ›leichten‹ Formen von Komödie und Detektivroman größtmögliche Breitenwirkung (und somit den Zugang zu einem Publikum, das mit »schwererer« Literatur nicht zu erreichen wäre), sondern sie fordern ihn zur ästhetischen Auseinandersetzung mit der Form und ihrer Durchbrechung bzw. Überwindung heraus. An diesem Prozeß nimmt der Leser beständig teil. Im engeren Kontext des Detektivromans bedeutet das, daß Dürrenmatt bereits in Der Richter und sein Henker den Erwartungshorizont des Lesers auf zweifache Weise sprengt. Indem er den Zufall an die Stelle der zwar wohlgeordneten, aber irrealen Weltordnung der Gattung stellt, entzieht er seinem Leser verläßliche Orientierungshilfen, die jener implizit bei der Lektüre von Detektivromanen voraussetzt. Zum anderen aber verteilt der Roman die von der Tradition der Gattung vorgesehenen Rollen von Gut und Böse auf höchst unkonventionelle Weise. Bärlach bedient sich nicht nur des bedingt ›Bösen‹ (Tschanz), um das absolut ›Böse‹ (Gastmann) zu erledigen, er vereint darüber hinaus in seiner Person die komplette Werteordnung des Romans: eine außerordentlich zwiespältige Werteordnung, über die sich unterschiedlich urteilen läßt. An Stelle einer primär affirmativen Wirkungsstrategie, wie sie den herkömmlichen Detektivroman auszeichnet, setzt Dürrenmatt also eine provozierende, beunruhigende und das Weltbild des Lesers in Frage stellende Stoßrichtung seiner Detektivromane. Die Lösung des Kriminalfalles, die Bärlach auf eigenwillige Weise betreibt und in die der Leser verstrickt ist, wird im Verlauf des Romans zusehends zur Frage nach dem Bösen selbst zugespitzt: »Nicht das Mordrätsel beschäftigt den Kommissär, der nach seinem eigenen Geständnis den Mörder, den er laufen läßt, von Anfang an durchschaut hat und längst hätte überführen können, sondern das Rätsel des Bösen.« (Hienger) Der Roman endet mit dem Richtspruch Bärlachs, die Frage aber nach der ethischen Rechtfertigung von dessen Vorgehen wird direkt auf den Leser zurückgeworfen.
    Daß Dürrenmatt sich nicht mit der ironischen Infragestellung der Gattung des Detektivromans zufriedengibt, zeigt seine Abrechnung mit ihr in seinem dritten Kriminalroman, Das Versprechen. Dort bricht der pensionierte Kommandant der Züricher Polizei endgültig den Stab über die traditionelle Form des Detektivromans:
»Doch wird leider in all diesen Kriminalgeschichten ein noch ganz anderer Schwindel getrieben. Damit meine ich nicht einmal den Umstand, daß eure Verbrecher ihre Strafe finden. Denn dieses schöne Märchen ist wohl moralisch notwendig. Es gehört zu den staatserhaltenden Lügen, wie etwa auch der fromme Spruch, das Verbrechen lohne sich
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