Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Titel: Der Omega-Punkt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
keinen Sinn. Jemand in New York.«
    »Es soll auch gar keinen Sinn ergeben. Was ergibt schon Sinn? Vermisste Menschen ergeben nie Sinn«, sagte ich. »Wie heißt sie, Jessies Mutter? Ich rede mit ihr.«
    Erst am nächsten Morgen war er einverstanden damit, mir ihre Telefonnummer zu geben. Halbe Stunde Besetztzeichen, dann eine wütende Frau, die sich weigerte, jemandem Fragen zu beantworten, den sie nicht kannte. Das Gespräch führte eine Zeit lang nirgendwohin. Sie war dem Mann einmal begegnet, wusste nicht, wo er wohnte, wie alt er genau war, was er beruflich machte.
    »Sagen Sie mir einfach seinen Namen. Können Sie das tun?«
    »Sie hat drei Freundinnen, diese Namen kenne ich. Wen sie ansonsten trifft, wo sie hingeht, sie hört nicht auf Namen, sie sagt mir keine Namen.«
    »Aber dieser Mann. Die beiden sind doch zusammen ausgegangen, ja. Sie sind ihm begegnet, sagten Sie.«
    »Weil ich drauf bestanden habe. Zwei Minuten steht er hier. Dann sind sie los.«
    »Aber er hat Ihnen seinen Namen genannt, oder Jessie zumindest.«
    »Vielleicht hat sie ihn mir gesagt, nur den Vornamen.«
    Sie konnte sich nicht an den Namen erinnern, und das machte sie noch wütender. Ich gab Elster das Handy, und er sagte etwas, um sie zu beruhigen. Es klappte nicht, aber ich gab nicht auf. Ich erinnerte sie daran, dass dieser Mann etwas an sich hatte, das sie nicht mochte. Erzählen Sie es mir, sagte ich, und sie reagierte zur Abwechslung mal nicht so knurrig.
    Eine Woche lang oder länger habe es Anrufe gegeben. Immer wenn sie dranging, legte der Anrufer auf. Sie wusste, dass er es war, der Jessie erreichen wollte. Auf dem Display stand Unterdrückte Nummer . Er war es, jedes Mal, und legte sanft auf, und sie erinnerte sich an ihn auf ihrer Türschwelle, so jemand, den man dreimal die Woche trifft, einen Lieferanten mit Einkäufen, und man weiß immer noch nicht, wie er eigentlich aussieht.
    »Als ich letztes Mal Unterdrückte Nummer seh, geh ich dran und sage nichts. Keiner spricht. Wir spielen das wie ein blödes Spiel. Ich warte, er sagt nichts. Er wartet, ich sage nichts. Eine ganze Minute. Dann sage ich, ich weiß, wer Sie sind. Der Mann legt auf.«
    »Sie sind sich ganz sicher, dass er es ist.«
    »Und da hab ich ihr gesagt, sie soll weggehen.«
    »Und sobald sie weg war.«
    »Keine Anrufe mehr«, sagte die Mutter.
    Er hörte auf, sich zu rasieren. Ich legte Wert darauf, mich jeden Tag zu rasieren, nichts zu ändern. Wir warteten auf Nachrichten, ich wollte hinaus, ins Auto steigen und mich den Suchtrupps anschließen. Aber ich stellte mir Elster vor, einen Mund voll Schlaftabletten, den Inhalt einer Flasche. Ich stellte mir einen durchtränkten Kloß vor, einen Batzen, dreißig oder vierzig Pillen verdichtet und speicheltropfend. Ich setzte mich hin und redete mit ihm über die Arzneimittel in seinem Schränkchen. Nur die übliche Dosis, sagte ich. Lesen Sie die Hinweise lieber zweimal, beachten Sie die Warnungen. Ich sagte das tatsächlich so, beachten Sie die Warnungen, und die Phrase klang nicht gespreizt. Ich stellte ihn mir in der Tür zu seinem Badezimmer vor, den Mund teilweise aufgestemmt durch die dichte Masse, tastender Versuch, wortwörtlicher Vorgeschmack, eine Hand an jedem der beiden Türpfosten, die ihn umgaben.
    Jessie hatte kein Handy, aber die Polizei sah die Telefonlisten durch, um herauszufinden, ob sie mit einem unserer Handys Anrufe gemacht oder bekommen hatte. Sie überprüften die Gästelisten der Motels, die Verbrechensmeldungen in nahe gelegenen Countys und Staaten.
    »Wir können nicht weg.«
    »Nein, können wir nicht.«
    »Was, wenn sie wiederkommt?«
    »Einer von uns muss hier sein«, sagte ich.
    Jetzt machte ich die Omeletts. Er schien sich zu fragen, was er mit der Gabel in der Hand anfangen sollte. Ich machte morgens Kaffee, stellte Brot, Cornflakes, Milch, Butter und Marmelade auf den Tisch. Dann ging ich in sein Schlafzimmer und überredete ihn, das Bett zu verlassen. Alles, was geschah, war von ihrer Abwesenheit geprägt. Er aß karg. Er bewegte sich durchs Haus wie jemand, der den Boden wischt, mit mühevollen, umständlichen Schritten.
    In einer Woche sollte er in Berlin sein, ein Vortrag, eine Konferenz, er blieb vage bei den Details.
    Er sah plötzlich Dinge aus dem Augenwinkel, dem rechten Augenwinkel. Er ging etwa in ein Zimmer und erhaschte flüchtig etwas, eine Farbe, eine Bewegung. Wenn er sich dann umdrehte, nichts. Das geschah ein oder zwei Mal täglich. Ich sagte ihm, das sei

Weitere Kostenlose Bücher