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Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht
Autoren: Poul Anderson
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ma­chen und auf Pe­te zu war­ten. Aber heu­te …
    Sie nahm den Kri­mi zur Hand, den sie hat­te le­sen wol­len. Einen Au­gen­blick lang ruh­te der grell­bun­te Um­schlag zwi­schen un­si­che­ren Fin­gern, und fast hät­te sie sich ge­setzt. Dann schüt­tel­te sie den Kopf, stell­te das Buch zu­rück, ging zu dem über­la­de­nen Bü­cher­re­gal hin­über, nahm Pe­tes zer­le­se­nes Ex­em­plar von Lord Jim her­aus und ließ sich in den Ses­sel nie­der. Es war be­reits spä­ter Nach­mit­tag, be­vor sie merk­te, daß sie das Mit­tages­sen völ­lig ver­ges­sen hat­te.
    Co­rinth traf Fe­lix Man­del­baum, als er im Lift nach un­ten fuhr. Sie ge­hör­ten zu je­nen sel­te­nen Kom­bi­na­tio­nen von Nach­barn in New Yor­ker Miets­ka­ser­nen, die zu en­gen Freun­den ge­wor­den wa­ren. Shei­la mit ih­rem klein­städ­ti­schen Hin­ter­grund hat­te dar­auf be­stan­den, zu­min­dest al­le Nach­barn auf der glei­chen Eta­ge ken­nen­zu­ler­nen, und Co­rinth war, was die Man­del­baums be­traf, froh dar­über. Sa­rah war ein mol­li­ges, ru­hi­ges, in sich zu­rück­ge­zo­ge­nes Haus­müt­ter­chen, freund­lich, aber farb­los; ihr Mann war da ganz an­ders.
    Fe­lix Man­del­baum war vor fünf­zig Jah­ren im Lärm und Dreck des Aus­beu­tungs­be­triebs der Lower East Si­de auf die Welt ge­kom­men, und das Le­ben hat­te ihm seit­dem nur Trit­te ver­setzt, aber er trat mit großer Be­geis­te­rung und mit vol­ler Kraft zu­rück. Er war schon al­les ge­we­sen, vom um­her­zie­hen­den Obst­pflücker über Ma­schi­nist bis zum OSS-Agen­ten in Über­see wäh­rend des Krie­ges, wo­bei ihm sein Ta­lent im Um­gang mit Spra­chen und Men­schen be­stimmt von Nut­zen ge­we­sen war. Sei­ne Kar­rie­re als Ge­werk­schafts­or­ga­ni­sa­tor ver­lief par­al­lel, von den al­ten JWW zu der ver­gleichs­wei­sen Re­spek­ta­bi­li­tät sei­nes ge­gen­wär­ti­gen Jobs: Of­fi­zi­el­ler Exe­ku­tivse­kre­tär des Orts­ver­ban­des, was hieß, daß er als Feu­er­wehr für be­son­de­re Pro­blem­fäl­le her­um­reis­te und ei­ne ge­wich­ti­ge Stim­me im Ge­werk­schafts­ap­pa­rat hat­te. Er war nicht mehr so ra­di­kal wie in sei­ner Ju­gend, be­haup­te­te so­gar, ei­ner der letz­ten ech­ten Kon­ser­va­ti­ven zu sein. Fe­lix hat­te sich sein be­trächt­li­ches Wis­sen selbst an­ge­eig­net. Er war äu­ßerst be­le­sen und hat­te be­stimmt mehr vom Le­ben als al­le an­de­ren Mit­glie­der sei­nes Freun­des­krei­ses, ab­ge­se­hen von Nat Le­wis viel­leicht. Ei­gent­lich ko­misch, wenn man es so be­dach­te.
    „Hal­lo“, sag­te der Phy­si­ker. „Du hast dich ver­spä­tet.“
    „Nicht di­rekt.“ Man­del­baums Stim­me hat­te einen bar­schen New Yor­ker Ton­fall. Er war ein klei­ner, drah­ti­ger, grau­haa­ri­ger Mann mit ei­nem knor­ri­gen, ha­ken­na­si­gen Ge­sicht und glü­hen­den, dunklen Au­gen. „Ich wach­te mit ei­ner Idee auf. Ei­nem Re­or­ga­ni­sa­ti­ons­plan. Er­staun­lich, daß bis­her nie­mand dar­an ge­dacht hat. Er wür­de den Pa­pier­krieg um die Hälf­te re­du­zie­ren. Und ich ha­be be­reits einen Ent­wurf skiz­ziert.“
    Co­rinth schüt­tel­te mit­lei­dig den Kopf. „In­zwi­schen, Fe­lix, soll­test du ge­lernt ha­ben, daß die Ame­ri­ka­ner viel zu sehr in ih­ren Pa­pier­wust ver­narrt sind, als daß sie sich von ei­nem ein­zi­gen Blatt tren­nen könn­ten“, sag­te er.
    „Du kennst die Eu­ro­pä­er nicht“, groll­te Man­del­baum.
    „Weißt du“, mein­te Co­rinth, „es ist ko­misch, daß du aus­ge­rech­net heu­te auf die­se Idee ge­kom­men bist – er­in­ne­re mich, daß ich mich spä­ter bei dir nach den De­tails er­kun­di­ge, es klingt in­ter­essant -; ich wach­te näm­lich mit der Lö­sung ei­nes Pro­blems auf, das mich in den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten höl­lisch ge­quält hat.“
    „Hm?“ Man­del­baum stürz­te sich auf die­sen Fakt, man konn­te fast se­hen, wie er ihn in sei­nen Hän­den dreh­te, be­schnüf­fel­te und bei­sei­te leg­te. Ei­gen­ar­tig. Es war ei­ne Auf­ga­be.
    Der Fahr­stuhl hielt, und sie trenn­ten sich. Co­rinth nahm, wie ge­wöhn­lich, die U-Bahn. Er be­fand sich jetzt in­mit­ten von Au­tos; in die­ser Stadt zahl­te es sich
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