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Der Mann aus Israel (German Edition)

Der Mann aus Israel (German Edition)

Titel: Der Mann aus Israel (German Edition)
Autoren: Margaret Jardas
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Fruchtbarkeits- und
Astralgötter und ihre Kulte lebten weiter unter der Oberfläche der interpretatio
graeca des offiziellen hellenistischen-römischen Staatskultes. Die
Menschen, vorab die Juden, neigten eher zum Synkretismus mit jeweils recht
bodenständigen Ideen und Bräuchen.“ umreißt er die damaligen religiösen
Umstände. „Über dieses Gemisch legte sich die Decke einer allgemeinen
mittelplatonischen Weltanschauung, was insgesamt einen fruchtbaren Nährboden
für allerlei religionsphilosophische Spekulationen bildet.“
    Er erzählt von der Schwierigkeit, die Person Jesu historisch
zu erfassen, von der Unmöglichkeit, eine exakte Biographie nachzuzeichnen. „Man
weiß eigentümlich wenig über den Mann, der später so unvergesslich werden
sollte, wie keine andere Figur der Geschichte. Vor allem außerchristliche,
zeitgenössische Quellen fehlen. Und die christlichen setzen erst mit dem
Markus-Evangelium, vierzig Jahre nach dem Tod Jesu ein.“ Ich könnte es nicht
besser machen. „Jesus radikalisierte und aktualisierte die Heiligkeit der alten
Gesetze. Damit zog er die Feindschaft der Juden auf sich. Gerade die
Bergpredigt mit ihren ethischen Forderungen markiert die radikale Veränderung
in seinen religiösen Verkündigungen.“
    Zur Feier des Ortes hat Raffael den Hut abgenommen, auch die
alberne verspiegelte Brille. Die Haare sind, wie seine Augen, von einer
changierenden Helligkeit. Mit einem Mal kommt mir das Bild in Erinnerung, als
ein ebenso hellhäutig Blonder wie Raffael, schwerbewaffnet und in Uniform, zu
uns in den Bus stieg, als sich gestern hinter der Allenby-Brücke der Schlagbaum
zum Heiligen Land öffnete.
    „ Welcome to Israel. Your passports, please. “
sagte der israelische Soldat.
    Da hörte ich hinten im Bus Frau Vogel aus dem bayrischen
Rosenheim ganz laut zu ihrem Mann sagen „Du, Schorsch, der schaut ja gar net
aus wia a Jud.“
    Mir wurde ganz kalt vor Scham. Und auch vor Wut. Ich hatte
die sechzig Kilometer von Amman zur israelischen Grenze genutzt, um meine
Mitreisenden auf Israel einzustimmen. Auf das Völkergemisch, das sich dort seit
ein paar Jahrzehnten abmüht, sich zu einer homogenen Gesellschaft zu
entwickeln. Juden aus aller Welt, die aber auch gar nichts mit dem langnasigen
Jud Süss der nationalsozialistischen Propaganda zu tun haben. Psychisch nicht
und äußerlich schon gar nicht. Darauf angesprochen, können Israelis sehr bitter
werden. Und mit einem Mal ist es dann aus mit der levantinischen Gelassenheit
und der humorvollen Großzügigkeit.
    Aber der junge Soldat reagierte nicht. Er schien kein Deutsch
zu verstehen. Gott sei Dank.
    Daran muss ich denken, als ich Raffael zuhöre. Was denkt er
über uns, grüble ich, eigentlich müsste er uns doch hassen. Wie bringt er es
fertig, es nicht zu tun. Vor allem meine Mitreisenden. Die meisten haben den
Zweiten Weltkrieg noch erlebt. Mich muss er ja nicht unbedingt mit dem Morden
des Dritten Reiches in Verbindung bringen. Dafür bin ich zu jung. Wir beide
werden etwa gleich alt sein. Nachkriegskinder in jedem Fall, obwohl es
schwierig ist, das Alter der Israelis zu schätzen. Die Hitze lässt sie früher
altern, auch die ständige Spannung, in der sie leben, die vielen Kriege der
letzten Jahrzehnte. Wenn er etwa zur Zeit der Staatsgründung geboren wurde,
muss er in den drei großen Auseinandersetzungen mit den Arabern gekämpft haben,
dem Sechs-Tage-Krieg, dem Yom-Kippur-Krieg und der Invasion in den Libanon. Das
muss doch einen Menschen prägen. Ich komme mir neben ihm wie ein dummer,
verwöhnter Backfisch vor, wie ein anmassender Nichtsnutz, dessen oberstes
Prinzip immer nur das eigene Wohlergehen ist, der keine Ahnung von existentiellen
Nöten hat. Ein Nachkriegskind aus Deutschland.
    Bei uns stand der Mercedes schon 1948 wieder in der Garage.
Da war Israel gerade geboren, fantasiere ich weiter. Während ich im
Spitzenhäubchen in der Familienwiege lag und vom Dienstmädchen aus dem
Böhmerwald die Flasche gereicht bekam, jagten die Kugeln des
Unabhängigkeitskrieges um Raffaels kleines blondes Köpfchen. Ob er je einen
Kinderwagen hatte? Seine Eltern müssen wohl deutsch mit ihm gesprochen haben,
sonst könnte er es nicht so gut. Wo er wohl aufgewachsen ist? Was mag sein
Vater von Beruf sein? Meine Gedanken jagen mir ungeordnet durch das Hirn. Immer
nur Raffael, Raffael. Weshalb denke ich ständig über diesen Mann nach, seit ich
ihn gestern getroffen habe. Dieses Schauern, das er bei mir bewirkt,
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