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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor
Autoren: Philipp Vandenberg
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am Marktplatz, was Sarah von einer ortskundigen Wäscherin erfuhr. Mr. Hazelford, der Wirt des Gasthofes, war äußerst zuvorkommend und schickte sogleich seinen Sohn Owen mit einem Karren los, nachdem sie den Ort beschrieben hatte, an dem der braune Koffer zurückgeblieben war.
    Ihr Zimmer hatte ein Fenster zum Marktplatz hin, und man konnte den »Butter Cross« sehen, eine Art Pavillon, bestehend aus einer Kuppel auf sieben Säulen, und gegenüber die Kirche St. Peter und Paul. Das Zimmer war freundlich und billig, und bald traf auch Sarahs Koffer ein. Allerdings gab ihr Owen Hazelford die Penny-Münze zurück, die sie ihm zur Entlohnung des Alten mitgegeben hatte. Er habe niemanden bei dem Koffer angetroffen, meinte er.
    Zuerst nahm Sarah die Mitteilung nicht weiter ernst, aber schon im nächsten Augenblick beschlich sie ein furchtbarer Verdacht, und ein Blick auf das Kofferschloß bestätigte ihre finstere Ahnung. Das Schloß war aufgebrochen.
    Es darf nicht sein!, schoß es ihr durch den Kopf, und sie war geneigt, ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, was sonst nicht ihre Art war. Hastig öffnete sie den Koffer, schleuderte Wäsche- und Kleidungsstücke heraus, und dabei merkte sie, daß das Gepäck durchwühlt war. Endlich bekam sie ihren Mantel zu fassen. Wie von Sinnen zerrte Sarah ihn aus dem Koffer und tastete nach der Innentasche. Die Tasche war leer.
    Nach dieser Entdeckung war Sarah wie betäubt. Sie kniete sich vor das leere Gepäckstück, vergrub ihr Gesicht in den Armen und weinte wie ein Kind. Man hatte Sarah ihre gesamten Ersparnisse geraubt: sechsundsiebzig Pfund und fünf Shillinge.
    Der Wirt, dem sie sich anvertraute, verständigte die Polizei, aber die machte ihr Vorwürfe wegen ihres Leichtsinns und nur geringe Hoffnung, ihr Erspartes jemals zurückzuerhalten.
    In dieser Nacht im »George Commercial Hotel« schlief Sarah keine Minute, und zum ersten Mal beschlich sie der Gedanke, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Sie hatte auf vieles verzichtet und hart gespart für ihr kleines Vermögen, nun stand sie mittellos da in dieser fremden Stadt. Wie sollte es weitergehen?
     
     
    Am nächsten Morgen – ein leuchtender Frühlingstag kündigte sich an – suchte sie die Dame-School auf, einen düsteren Backsteinbau mit vergitterten Fenstern und einem wuchtigen Holztor als Eingang. Das zweistöckige Gebäude hatte zwei Flügel links und rechts und viele Zimmer, von denen nur der geringere Teil genutzt wurde, denn es gab nur zwei Klassen mit je einem Dutzend Schülerinnen. Außerhalb des Unterrichts, wenn das Gebäude leerstand, hatte das alte Haus etwas Unheimliches an sich, und Sarah Jones stellte sich die Frage, ob sie hier jemals heimisch werden könnte. Gertrude von Schell, die Leiterin, war, obwohl deutscher Herkunft, Queen Victoria wie aus dem Gesicht geschnitten. Wie diese trug sie nur schwarze Kleider und einen Mittelscheitel, das Haar streng nach hinten gekämmt, und sie stand der Queen weder im Alter noch in ihrer zur Schau getragenen Bigotterie nach. Auch vergaß sie nur selten, in einem Satz ihren verstorbenen Gemahl, einen Baron von Schell, zu erwähnen, der alles – wie sie betonte – besser, klüger und mit mehr Würde bewerkstelligt hatte und der weit herumgekommen war im Leben. Nach jedem vollendeten Satz kniff sie mit großer Heftigkeit beide Augen zusammen, und um ihrer Rede Nachdruck zu verleihen, beendete sie diese stets mit der Frage: »Haben Sie mich verstanden?«
    Diese Art zu sprechen verlieh ihr etwas Preußisches, Herrisches, und Sarah zweifelte schon am ersten Tag, ob sie es mit dieser Frau lange aushalten würde – zumal sie bereits beim ersten Kennenlernen – gleichsam als Warnung – Namen und Aufenthaltsdauer ihrer sechs Vorgängerinnen herunterbetete.
    Unter dem Dach zeigte ihr die Baronin – sie hatte es gern, wenn man sie mit dem deutschen Adelstitel anredete – eine Kammer, deren Mietpreis sie von Sarahs durchaus respektablem Gehalt einzubehalten gedachte. Was blieb ihr anderes übrig, Sarah sagte zu.
    Die Baronin und Sarah Jones waren die einzigen Lehrkräfte in der Dame-School von Swaffham. Beamte, Handwerker und Geschäftsleute schickten ihre acht- bis achtzehnjährigen Töchter auf diese Schule, um ihnen eine bescheidene Bildung mitzugeben.
    Tags darauf führte Gertrude von Schell die neue Lehrerin in die Oberklasse ein, und Sarah begann die Namen der einzelnen Schülerinnen in ein Klassenbuch einzutragen, als sie plötzlich innehielt. In der letzten
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