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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst
Autoren: Peter Prange
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Bären stehen, den er vor
Jahren selber erlegt hatte, und strich sich mit der mächtigen Hand über die
Halbglatze, die von einem bis auf die Schulter wallenden Lockenkranz umstanden
war. »Himmelherrgottsakrament – dass die es auch so verdammt eilig hatten mit
dem Sterben. Als hätten sie es gar nicht erwarten können, in den Himmel zu
kommen. Dabei haben sie an den Unsinn doch gar nicht geglaubt!«
    Ermilina war sicher, dass die letzte Bemerkung ihres Mannes den
Kanzler genauso verletzt haben musste wie sie selbst. Doch statt aufzubegehren,
fuhr Petrus da Silva in dem Gespräch fort, als habe er die Worte nicht gehört.
    Â»Um ganz offen zu sein, Euer Gnaden, dachte ich weniger an einen
weiteren Bruder als an einen Eurer Söhne. Vor allem an Euren Erstgeborenen,
Gregorio. Wenn ich recht unterrichtet bin, kommt er bald in sein
einundzwanzigstes Jahr und ist damit durchaus in einem Alter, in dem man seine
Wahl in Betracht ziehen könnte.«
    Alberico schüttelte den Kopf, als habe man ihm eine verdorbene
Speise vorgesetzt. »Gregorio kommt nicht in Frage«, erklärte er. »Er wird für
andere Aufgaben gebraucht – er soll später als Präfekt von Rom das
Stadtregiment kommandieren. Außerdem, für ein geistiges Amt ist er so wenig
geeignet wie der Igel zum Arschwisch.« Alberico drehte sich zu Petrus da Silva
herum. Wie immer, wenn er über einen schwierigen Sachverhalt nachdachte, kniff
er dabei mit offenem Mund sein linkes Auge zu. »Und was wäre, wenn ich mich
selber zum Nachfolger meiner Brüder wählen ließe? Ich meine, wenn ich der Ehe
entsage, und irgendein Bischof weiht mich zum Priester?«
    Â»Was … was wollt Ihr damit sagen? Ihr wollt Euch selber zum Papst
erheben?« Ermilina, die das Gespräch der Männer bislang schweigend verfolgt
hatte, schnappte nach Luft. Auch wenn ihr Mann sie seit Jahren nicht mehr
beschlief – eine Ehe war eine Ehe. »Das ist gotteslästerlich!«, rief sie. »Ihr
seid ein verheirateter Mann! Und was Gott verbunden hat, das darf der Mensch
nicht scheiden! – Jetzt sagt Ihr doch auch was, Eminenz!«
    Der Kanzler hob nur interessiert die Brauen. »Was für eine sinnreiche
Idee, Euer Gnaden. Ein solcher Fall ist meines Wissens zwar noch nie
vorgekommen, doch andererseits – wenn es unserer geliebten Kirche dient?«
Nachdenklich rieb er sich sein glatt rasiertes Kinn. »Man müsste die
Kirchenväter studieren, Augustinus, den heiligen Hieronymus. Auf jeden Fall
sollten wir den Gedanken verfolgen. Vielleicht lässt sich ja ein Weg finden.«
    9
    Nackt, wie seine Mutter ihn vor über sechzig Jahren geboren
hatte, stieg Giovanni Graziano in das eisig kalte Wasser des Bergbachs, der
sich an einer Felswand unweit seiner Klause zu einem kleinen Becken staute,
watete mit seinen bloßen Füßen über den glitschigen Grund, bis er die tiefste
Stelle erreichte, und ging dann in die Hocke, damit das Wasser über seinem Kopf
zusammenschlug.
    Â»Die Welt vergeht mit ihrer Lust.« Mit dem Vers des Johannesbriefs
auf den Lippen tauchte er unter.
    Trotz seines hohen Alters, und obwohl er jeden Abend vor dem
Schlafengehen Gott um Beistand gegen die Sünde bat, war er am Morgen mit einem
Samenerguss aufgewacht. Was nötigte ihn, sich immer noch mit solchen
Pollutionen zu beflecken? Wollte Gott ihn auf diese Weise an die Sündhaftigkeit
seines Fleisches erinnern? Um ihn vor der schlimmsten aller Sünden zu bewahren,
der Sünde der Superbia, der Sünde des Hochmuts wider den Heiligen Geist? Am
ganzen Körper zitternd tauchte er aus dem kalten Wasser wieder auf.
    Â»Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen
Lust, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt.«
    Gereinigt an Leib und Seele, stieg Graziano aus dem Bad und streifte
sich seine leinene Kutte über, um zu seiner Klause zurückzukehren. Auch wenn
die Lust des Fleisches ihn nächtens immer noch heimsuchte – gegen die Lust der
Augen war er gefeit. Seit vielen Jahren schon konnte er die Farben, mit denen
die Welt die Menschen verführte, so wenig unterscheiden wie ein Maulwurf. Was
anderen bunt und verlockend erschien, war für ihn nur ein einziges Grau in Grau – eine Schwäche der Sinne, für die er seinem Herrgott täglich dankte.
    Â»Ehrwürdiger Vater!«
    Giovanni Graziano war so tief in seine Gedanken versunken, dass er
die Frau, die vor der
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