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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte
Autoren: Luca Di Fulvio
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rief der Gutsherr, als er Cettas Blicke bemerkte, zu ihr herüber, bevor er sich zu den beiden Männern umdrehte und in ihr Gelächter einfiel.
    Cetta, deren Bein taub geworden war, krümmte sich und hinkte weiter durch ihre Ackerreihe. Nach wenigen Schritten wandte sie sich noch einmal nach dem Gutsherrn um und bemerkte, dass der Mann mit dem Holzbein etwas abseits stand und zu ihr herüberstarrte.
    Ein wenig später kam Cetta dem Grüppchen so nah, dass sie verstehen konnte, worüber gesprochen wurde. Und auch sie hörte das rhythmische Klopfen, das alle neugierig machte – doch im Gegensatz zu den anderen wusste sie, woher es kam. Aus dem Augenwinkel konnte sie beobachten, wie die Männer das geschnittene Getreide beiseiteschoben und schließlich lachend erkannten, wer das ungewöhnliche Geräusch verursachte. Die Frauen, die sich dem Schauplatz genähert hatten, taten verlegen und schlugen sich die von weißen Spitzenhandschuhen verhüllten Hände vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken, bevor alle wieder davonspazierten, da es bald Zeit für das Mittagessen war.
    Allein der Mann mit dem Holzbein stand noch da und sah zu. Er beobachtete die beiden Schildkröten, die ihre faltigen Hälse in die Höhe reckten und sich paarten, wobei ihre Panzer mit einem rhythmischen Tock-Tock-Tock gegeneinanderschlugen. Der Mann mit dem Holzbein starrte auf die beiden Tiere, dann auf Cetta und ihr Hinkebein und schaute schließlich auf sein eigenes künstliches Bein hinab. Cetta sah eine Hasenpfote an seiner Weste herabbaumeln.
    Im nächsten Moment stürzte sich der Mann auf Cetta, stieß sie zu Boden, schob ihren Rock hoch und zerriss ihren abgetragenen Baumwollschlüpfer, und mit der Vorstellung, sein Holzbein schlüge gegen das zurückgebildete Bein des Bauernmädchens, nahm er sie mit aller Hast und zeigte ihr, was ein Mann und eine Frau machen, wenn sie es den Tieren gleichtun wollen. Und während er auf Cetta lag, rief die Dicke über die Felder nach ihrem Mann, da sie nur noch darauf bedacht war, schnell an den Essenstisch zu kommen, und Cettas Mutter und ihr Vater und ihre dunkelhaarigen Brüder und auch der Andere mit dem helleren Haar setzten ganz in der Nähe der sich paarenden Schildkröten ihre Arbeit fort.
    Nachdem die Mutter ihr erlaubt hatte, wieder zu genesen, langsam, um keinen Verdacht zu erwecken, hatte Cetta sich den Folgen ihres Jahres als Krüppel stellen müssen. Und als sie, nach der Paarung der Schildkröten, mit nicht ganz vierzehn Jahren schwanger wurde, wölbte sich selbst ihr Bauch links stärker als rechts, so als hinge er von der unnötig verkrüppelten Seite herab.
    Der Junge kam mit außergewöhnlich blondem Haar zur Welt. Man hätte denken können, er stamme von den Normannen ab, wären da nicht seine Augen gewesen, so pechschwarz, tiefgründig und sehnsuchtsvoll, wie ein Blondschopf sie sich niemals auch nur hätte erhoffen können.
    »Er wird einen Namen bekommen«, erklärte Cetta ihrem Vater, ihrer Mutter, ihren dunkelhaarigen Brüdern und dem, den alle den Anderen nannten.
    Und da er ihr mit seinem hellblonden Haar wie das Jesuskind in der Krippe erschien, nannte Cetta ihren Sohn Natale.

3
    Aspromonte, 1908
    »Sobald er etwas größer ist, will ich nach Amerika«, eröffnete Cetta ihrer Mutter, während sie ihrem Sohn Natale die Brust gab.
    »Und was hast du da vor?«, brummte die Mutter, ohne von ihrem Nähzeug aufzublicken.
    Cetta antwortete nicht.
    »Du gehörst dem Gutsherrn und auf die Felder«, sagte da die Mutter.
    »Ich bin doch keine Sklavin«, widersprach Cetta.
    Die Mutter legte das Nähzeug beiseite und stand auf. Ihr Blick lag auf der Tochter, die dem neuen Bastard in der Familie die Brust gab. Sie schüttelte den Kopf. »Du gehörst dem Gutsherrn und auf die Felder«, sagte sie noch einmal, bevor sie hinausging.
    Cetta blickte auf ihren Sohn hinab. Ihr dunkler Busen mit der noch dunkleren Brustwarze stand in beinahe misstönendem Kontrast zu Natales blondem Haar. Vorsichtig nahm sie ihn von der Brust. Ein wenig Milch tropfte zu Boden. Cetta legte den Jungen in die alte Wiege, in der schon sie und ihre Brüder und auch der Andere gelegen hatten. Der Kleine begann zu weinen. Streng sah Cetta ihn an. »Wir werden beide noch viel weinen müssen«, sagte sie zu ihm. Dann folgte sie ihrer Mutter nach draußen.
    Hafen von Neapel, Dezember 1908
    Der Hafen war bevölkert von Hungerleidern und ein paar reichen Herrschaften, wenigen jedoch, und sie gingen nur vorbei. Wer reich
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