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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Autoren: Patricia Highsmith
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begrenzt lügen, jedenfalls wenn man so jung war wie Frank Pierson. »Erzähl mir von deiner Familie. Ist da nicht auch ein John junior?«
    »Ja, Johnny.« Frank drehte den Stiel des Weinglases zwischen den Fingern. Er starrte jetzt auf die Mitte des Tisches. »Hab seinen Paß genommen. Gestohlen, aus seinem Zimmer. Er ist achtzehn, fast neunzehn. Ich kann seine Unterschrift fälschen – gut genug jedenfalls, um damit durchzukommen. Nicht daß ich das je zuvor probiert hätte. War das erste Mal.« Frank verstummte und wiegte den Kopf hin und her, als gingen ihm verwirrend viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf.
    »Und dann? Was hast du getan, nachdem du weggelaufen warst?«
    »Ich bin nach London geflogen und dort geblieben, fünf Tage lang, glaub ich. Danach war ich in Frankreich. Paris.«
    »Verstehe. Geld hattest du genug? Hast keine Reiseschecks gefälscht?«
    »O nein, ich hab ein bißchen Bargeld mitgenommen, zwei- oder dreitausend. Aus dem Haus. Das war leicht. Ich kann ja den Safe öffnen.«
    In diesem Moment trat Madame Annette ein, räumte das Geschirr ab und servierte tarte aux fraises des bois – mit Schlagsahne.
    »Und Johnny?« Tom nahm den Faden wieder auf, kaum daß Madame Annette gegangen war.
    »Der ist in Harvard. Jetzt sind natürlich Semesterferien.«
    »Wo liegt das Haus?«
    Wieder verschwamm Franks Blick, als müsse er nachdenken. Welches Haus? »In Kennebunkport, Maine – meinen Sie das?«
    »Die Beerdigung war in Maine, nicht? Das weiß ich noch. Also bist du von dort weggelaufen?« Überrascht sah Tom, daß der Junge bei der Frage zusammenzuckte.
    »Von Kennebunkport, ja. Da sind wir gewöhnlich um diese Jahreszeit. Die Beerdigung war dort – die Einäscherung.«
    Glaubst du, daß dein Vater Selbstmord begangen hat, wollte Tom fragen, aber er fand die Frage geschmacklos: Sie würde nur seine Neugier befriedigen, also stellte er sie nicht. »Und wie geht es deiner Mutter?« fragte er statt dessen, wie nach dem Befinden einer Bekannten.
    »Ach, sie… Meine Mutter ist ganz hübsch, für über vierzig. Blond.«
    »Verstehst du dich gut mit ihr?«
    »Ja, klar. Sie ist fröhlicher, als mein Vater – war. Sie mag Gesellschaften. Und Politik.«
    »Politik? Welche?«
    »Die der Republikaner.« Jetzt lächelte Frank und sah Tom an.
    »Sie ist die zweite Frau deines Vaters, glaube ich.« Tom meinte das im Nachruf gelesen zu haben.
    »Ja.«
    »Und du hast ihr gesagt, wo du bist?«
    »Na ja… Nein. Hab eine Nachricht hinterlassen, ich würde nach New Orleans gehen, weil sie wissen, daß ich die Stadt mag. Im Hotel Monteleone habe ich schon mal übernachtet, alleine. Ich mußte vom Haus bis zur Bushaltestelle laufen, denn wenn mich Eugene, unser Chauffeur, zum Bahnhof gefahren hätte – ich weiß auch nicht, dann hätten sie womöglich gemerkt, daß ich nicht nach New Orleans wollte. Ich wollte einfach weg, allein, ohne fremde Hilfe, also bin ich zu Fuß los und mit dem Bus nach Bangor und von dort nach New York und hab einen Flug nach Europa erwischt. – Darf ich?« Frank langte nach einer Zigarette in einem silbernen Becher. »Bestimmt hat meine Familie im Monteleone angerufen und herausgefunden, daß ich nicht dort war – das erklärt dann… Ich weiß es, hab in der Tribune davon gelesen, die kaufe ich mir manchmal.«
    »Wann nach der Beerdigung bist du fort?«
    Frank mühte sich um eine genaue Antwort: »Sieben, acht Tage danach.«
    »Also, warum telegraphierst du deiner Mutter nicht, es ginge dir gut, du wärst in Frankreich und wolltest noch ein bißchen bleiben? Ist doch langweilig, dieses Versteckspiel, oder?« Andererseits fand Frank unter Umständen Vergnügen an dem Spiel, dachte Tom.
    »Im Augenblick will ich eigentlich keinen Kontakt zu ihnen. Ich will allein sein. Frei.« Er klang fest entschlossen.
    Tom nickte. »Mindestens weiß ich jetzt, warum dein Haar hochsteht. Du trugst es früher links gescheitelt.«
    »Stimmt.«
    Madame Annette brachte ein Tablett mit dem Kaffee herein. Beide standen auf, Tom sah auf seine Uhr: noch nicht einmal zehn. Warum war Frank Pierson davon ausgegangen, daß er bei ihm Verständnis finden würde? Weil er, Tom Ripley, nach den Zeitungsberichten, die Frank womöglich hatte einsehen können, einen zwielichtigen Ruf hatte? Ob auch der Junge etwas Unrechtes getan hatte? Etwa seinen Vater getötet, ihn von der Klippe gestoßen?
    »Ähem.« Tom räusperte sich – warum, wußte er auch nicht – und schlenderte zum Couchtisch. Ein beunruhigender
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