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Der Hund von Baskerville

Der Hund von Baskerville

Titel: Der Hund von Baskerville
Autoren: Arthur Conan Doyle
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Watson, ich fürchte, daß alle Ihre Schlußfolgerungen falsch sind. Wenn ich vorhin sagte, daß Sie mich stimulieren, so meinte ich, um ehrlich zu sein, daß ich durch Ihre Irrtümer und Trugschlüsse gelegentlich der Wahrheit näher kam. Nicht, daß Sie in diesem Fall ganz und gar Unrecht hätten. Der Mann ist sicherlich ein Landarzt. Und er läuft sehr viel zu Fuß.«
    »Dann hatte ich also recht.«
    »Soweit, ja.«
    »Aber das war doch alles!«
    »Nein, mein lieber Watson, keineswegs war das alles. Ich würde zum Beispiel meinen, daß ein Geschenk an einen Arzt eher von einem Krankenhaus kommt als von einem Jagdclub, und wenn die Initialen >C. C.< vor >Hospital< gesetzt werden, so bieten sich die Wörter >Charing Cross< ganz natürlich an.«
    »Sie mögen recht haben.«
    »Die Wahrscheinlichkeit liegt in dieser Richtung, und wenn wir dies als Arbeitshypothese annehmen, haben wir einen neuen Ausgangspunkt, um ein Bild von diesem unbekannten Besucher zusammenzusetzen.«
    »Also gut, angenommen, daß >C. C. H.< für >Charing Cross Hospital< steht, welche weiteren Schlüsse können wir ziehen?«
    »Bieten sie sich nicht von selbst an? Sie kennen meine Methoden. Wenden Sie sie an!«
    »Ich kann daraus nur folgern, daß der Mann offensichtlich in London praktiziert hat, bevor er aufs Land ging.«
    »Ich denke, daß wir uns durchaus noch ein wenig weiter wagen dürfen. Betrachten Sie es einmal in diesem Licht: Bei welcher Gelegenheit würde man denn möglicherweise ein solches Geschenk machen? Wann würden seine Freunde sich zusammentun, um ihm dies Zeichen ihrer Zuneigung zu übergeben? Doch sicher in dem Augenblick, als Dr. Mortimer sich aus dem Krankenhausdienst zurückzog, um eine eigene Praxis zu gründen. Nehmen wir an, es hat ein Wechsel vom Stadtkrankenhaus zu einer Landpraxis stattgefunden. Gehen wir in unserer Annahme zu weit, wenn wir sagen, daß bei der Gelegenheit dieses Wechsels der Stock als Abschiedsgeschenk überreicht wurde?«
    »Das ist sehr wohl möglich.«
    »Nun, es wird Ihnen klar sein, daß er nicht zu den leitenden Ärzten des Krankenhauses gehört haben kann, denn solch eine Stelle bekommt nur ein Mann mit einer gutsituierten Londoner Praxis, und so einer wird sich nicht aufs Land treiben lassen. Was war er dann? Wenn er im Krankenhaus tätig war und nicht zur Leitung gehörte, kann er nur Assistenzarzt gewesen sein, wenig mehr als ein Student im letzten Semester. Und er verließ das Krankenhaus vor fünf Jahren — das Datum steht auf dem Stock. Damit löst sich Ihr seriöser Hausarzt mittleren Alters in Luft auf, mein lieber Watson, und hervor kommt ein junger Mann, wenig mehr als dreißig Jahre alt, freundlich, ohne Ehrgeiz, manchmal geistesabwesend und Besitzer eines Hundes, der, grob beschrieben, größer als ein Terrier und kleiner als eine Dogge ist.« Ich lachte ungläubig, während Sherlock Holmes sich im Sofa zurücklehnte und kleine Rauchringe zur Zimmerdecke aufsteigen ließ.
    »Was den letzten Teil anbelangt, ist es mir unmöglich, Ihnen zu widersprechen, doch dürfte es nicht schwer sein, ein paar Einzelheiten über Alter und beruflichen Werdegang des Mannes festzustellen.« Aus meiner kleinen medizinischen Handbibliothek zog ich ein medizinisches Namensregister hervor und blätterte die Namen durch. Es waren mehrere Mortimers verzeichnet, aber nur ein einziger paßte auf unseren Besucher.
    Ich las den Eintrag laut vor: »Mortimer, James, M.R.C.S., 1882, Grimpen, Dartmoor, Devon. Chirurgie-Assistent von 1882 bis 1884 am Charing Cross Hospital. Gewann den Jackson-Preis für vergleichende Pathologie mit dem Aufsatz >Ist Krankheit eine Entartung?< Korrespondierendes Mitglied der Schwedischen Pathologischen Gesellschaft. Autor von >Einige merkwürdige Mißbildungen (Lancet, 1882). >Gibt es einen Fortschritt?< (Psychologisches Journal, März 1883). Amtsarzt für die Gemeinden Grimpen, Thorsley und High Barrow.«
    »Kein örtlicher Jagdverein ist erwähnt, Watson«, sagte Holmes mit spitzbübischem Lächeln, »aber ein Landarzt, wie Sie sehr richtig bemerkt haben. Ich denke, daß ich mit meinen Annahmen ziemlich richtig lag. Was die Adjektive betrifft, so sagte ich, wenn ich mich recht erinnere: freundlich, ohne Ehrgeiz und geistesabwesend. Nach meiner Erfahrung erhält in unserer Welt nur ein freundlicher Mensch Zeichen der Wertschätzung, nur ein Mann ohne beruflichen Ehrgeiz gibt eine Londoner Karriere auf, um aufs Land zu ziehen, und nur ein geistesabwesender Mensch läßt seinen
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