Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel ueber Dem Boesen

Der Himmel ueber Dem Boesen

Titel: Der Himmel ueber Dem Boesen
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
ersten Mal so alt aus, wie sie vermutlich war: dreiundvierzig, vierundvierzig?
    «Grober alter Depp», sagte sie unerwartet gehässig. «Der würde seine eigene Großmutter verkaufen.»
    Merrily sagte nichts. Zusammen bogen sie in die Church Street ein und gingen auf den Marktplatz zu. Die Luft schimmerte vor Feuchtigkeit, und der verlassene Ortskern sah aus wie ein romantisches Filmset, über dem ein nebelverhangener Dreiviertelmond stand.
    «Was glauben Sie denn, wie viel Sie brauchen?» Die Stimme von Mrs.   Box war wieder weicher, ohne jedoch weniger nachdrücklich zu klingen. «Für die Kirche.»
    «Na ja, ich kann wirklich nicht   …» Merrily zögerte. Es war das erste Mal, dass sie mit dieser Frau mehr als Oberflächlichkeiten austauschte.
    «Sagen wir, pro Jahr. Wie viel brauchen Sie pro Jahr, um die Kirche instand zu halten, wenn Sie nicht auf einen Souvenirshop angewiesen sein wollen?»
    Es war eine ernst gemeinte Frage, und Merrily kam um eine Antwort nicht herum. Sie schüttelte den Kopf. «Ich habe wirklich keine Ahnung, was so ein Shop im Jahr abwerfen würde.»
    Mrs.   Box blieb am Rande des verlassenen Marktplatzes stehen. «Sagen Sie, haben Sie Gott darum gebeten?»
    «Wie bitte?»
    «Um das Geld. Haben Sie Gott darum gebeten?»
    «Äh   …»
    Jenny Box lächelte matt, offenbar wollte sie das Thema nicht weiterverfolgen. Direkt vor ihnen stand das gedrungene mittelalterliche Gebäude der Markthalle. Mrs.   Box stand mit dem Rücken davor, die Hände tief in die Taschen ihrer Barbour-Jacke vergraben, und gab so eine klarere, selbstbewusstere Erscheinung ab als zuvor in der Gemeindehalle.
    «Sie hatten natürlich vollkommen recht», sagte sie. «Frauen sind im Allgemeinen nicht besonders gut im Predigen. Was wir am besten können, ist zuhören. Deshalb sind weibliche Pfarrer so wichtig. Frauen hören zu, sie
empfangen
. Ich will hier keine feministischen Parolen von mir geben, aber die Zeit ist gekommen. Sehen Sie das nicht auch so?»
    «Ich glaube, wir können alle empfangen, Frauen und Männer», sagte Merrily zurückhaltend. Sie waren allein auf dem Marktplatz. Mrs.   Box sah sich um.
    «Was dieser Mann, Clowes, da gesagt hat – wir müssten alle akzeptieren, dass der Tourismus unsere Zukunft ist   –, das macht mich ganz krank. Sehen Sie sich diesen Ort mal an: Fast alle hierkommen ursprünglich woanders her, so gut wie alle Geschäfte gehören Leuten von außerhalb.»
    Merrily sagte nichts. Die erleuchteten Bleiglasfenster des
Black Swan
auf der anderen Seite des Marktplatzes wirkten so angenehm unregelmäßig wie das Kopfsteinpflaster. Sie hatte Ledwardine immer für einen unzerstörbaren Organismus gehalten, der den Wandel in sich aufnahm und langsam verdaute.
    «Oh, mir ist klar, dass ich selbst Teil dieser Invasion bin», sagte Jenny Box. «Da hilft nichts. Aber wenn ich sehe, wie sie aus dieser reizenden alten Kirche einen Touristenmagneten machen wollen   … und mitbekomme, dass Männer wie Clowes, der schließlich
beinahe
ein Einheimischer ist, selbstzufrieden auf ihren fetten Hintern sitzen bleiben und dem zustimmen, nur um kurzfristig ein bisschen Gewinn zu machen, dann sehe ich eben auch, dass etwas Altes verlorengeht   … und sich stattdessen etwas Hinterhältiges und Schmutziges einschleicht. Am liebsten würde ich auf den Turm steigen, die Glocken läuten und alle warnen. Sie nicht?»
    «Ich weiß nicht», sagte Merrily ehrlich. «Einerseits möchte ich, dass viel mehr Leute in die Kirche kommen. Mir gefällt der Gedanke, dass die Kirche das natürliche Zentrum des Ortes ist, wie in Italien, wo die Leute einfach ein und aus gehen und Hühner unter den Bänken sitzen. Andererseits   …»
    Sie sah die Frau an, die in den Achtzigern ein blasses, feenhaftes Model gewesen war. Sie hatte immer ein bisschen verwundet gewirkt, wie ein Waisenmädchen, dessen sich Vivienne Westwood angenommen hatte. Das hatte Jane mal gesagt, als sie wegen Grippe nicht in der Schule war und tagsüber Jenny Driscoll im Fernsehen gesehen hatte – die damals neu im Ort und deshalb in aller Munde war. Es war irgendeine Talkshow gewesen, in der es ums Berühmtsein ging und wie oberflächlich das alles war. Auf der anderen Seite, hatte Jane gesagt, gab es wohl kaum etwas Oberflächlicheres als das Vormittagsprogramm im Fernsehen.
    «Sie halten mich wahrscheinlich für eine gelangweilte Neurotikerin, die unbedingt Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Sagen Sie es ruhig, wenn Sie das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher