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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Autoren: Gottfried Keller
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Mehlklößen schnell sämtliche Musselingewänder, Fächer und Sonnenschirmchen aus Haus und Garten vertrieben hatte. Nur eine Wand voll vortrefflicher Jagdgewehre, die auch der Nachfolger zu fahren wußte, lockte im Herbst einzelne Jäger auf das Dorf und unterschied das Pfarrhaus einigermaßen von einem Bauernhause.
    In der Stadt fing jener junge Baumeister damit an, daß er einige Arbeiter anstellte und, selbst arbeitend vom Morgen bis zum Abend, kleinere Aufträge aller Art annahm und darin so viel Geschick und Zuverlässigkeit zeigte, daß noch vor Ablauf eines Jahres sein Geschäft sich erweiterte und sein Kredit sich begründete. Er war so erfinderisch und einsichtsvoll, gewandt und schnell beraten, daß bald viele Bürger seinen Rat und seine Arbeit suchten, wenn sie im Zweifel waren, wie sie etwas verändern oder neu bauen lassen sollten.
    Dabei war er immer bestrebt, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, und war froh, wenn ihn seine Kunden nur gewähren ließen, so daß sie manche Zierde, manches Fenster und Gesims von reineren Verhältnissen erhielten, ohne daß sie deswegen den Geschmack ihres Baumeisters teurer bezahlen mußten. Seine Frau aber führte mit wahrem Fanatismus das Hauswesen, welches durch verschiedene Arbeiter und Dienstboten schnell erweitert wurde.
    Sie beherrschte mit Kraft und Meisterschaft das Füllen und Leeren einer Anzahl großer Speisekörbe und war der Schrecken der Marktweiber und die Verzweiflung der Schlächter, welche alle Gewalt ihrer alten Rechte aufbieten mußten, einen Knochensplitter mit auf die Waage zu bringen, wenn das Fleisch für die Frau Lee gewogen wurde. Obgleich Meister Lee fast keine persönlichen Bedürfnisse hatte und unter seinen zahlreichen Grundsätzen derjenige der Sparsamkeit in der ersten Reihe stand, so war er doch so gemeinnützig und großherzig, daß das Geld für ihn nur Wert hatte, wenn etwas damit ausgerichtet oder geholfen wurde, sei es durch ihn oder durch andere; daher verdankte er es nur seiner Frau, welche keinen Pfennig unnütz ausgab und den größten Ruhm darein setzte, jedermann weder um ein Haar zuwenig noch zuviel zukommen zu lassen, daß er nach Verfluß von zwei oder drei Jahren schon Ersparnisse vorfand, welche seinem unternehmenden Geiste nebst dem Kredite, den er bereits genoß, eine reichlichere Nahrung darboten.
    Er kaufte alte Häuser an für eigene Rechnung, riß sie nieder und baute an der Stelle stattliche Bürgerhäuser, in welchen er eine Menge Einrichtungen fremder oder eigener Erfindung anbrachte. Diese verkaufte er mehr oder weniger vorteilhaft, sogleich zu neuen Unternehmungen schreitend, und alle seine Gebäude trugen das Gepräge eines beständigen Strebens nach Formen-und Gedankenreichtum. Wein ein gelehrter Architekt auch oft nicht wußte, wohin er alle angebrachten Ideen zählen sollte und vieles der Unklarheit oder Unharmonie zeihen mußte, so gestand er doch immer, daß es Gedanken seien, und belobte, wenn er unbefangen war, den schönen Eifer dieses Mannes mitten in der geistesarmen und nüchternen Zeit des Bauwesens, wie sie wenigstens in den abgelegenen Provinzen des Kunstgebietes bestand.
    Dies tätige Leben versetzte den unermüdlichen Mann in den Mittelpunkt eines weiten Kreises von Bürgern, welche alle zu ihm in Wechselwirkung traten, und unter diesen bildete sich ein engerer Ausschuß gleichgesinnter und empfänglicher Männer, denen er sein rastloses Suchen nach dem Guten und Schönen mitteilte. Es war nun um die Mitte der zwanziger Jahre, wo in der Schweiz eine große Anzahl gebildeter Männer aus dem Schoße der herrschenden Klassen selbst, die abgeklärten Ideen der großen Revolution wiederaufnehmend, einen frucht-und dankbaren Boden für die Julitage vorbereiteten und die edlen Güter der Bildung und Menschenwürde sorgsam pflegten. Zu diesen bildete Lee mit seinen Genossen, an seinem Orte, eine tüchtige Fortsetzung im arbeitenden Mittelstande, welcher von jeher aus der Tiefe des Volkes auf den Landschaften umher seine Wurzeln trieb und sich erneuerte. Während jene Vornehmen und Gelehrten die künftige Form des Staates, philosophische und Rechtswahrheiten besprachen und im allgemeinen die Fragen schönerer Menschlichkeit zu ihrem Gebiete machten, wirkten die rührigen Handwerker mehr unter sich und nach unten hin, indem sie einstweilen ganz praktisch so gut als möglich sich einzurichten suchten. Eine Menge Vereine, öfter die ersten in ihrer Art, wurden gestiftet, welche meistens
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