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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator
Autoren: Philipp Vandenberg
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Gegner. Wollten die Götter aber, daß es Nacht um mich bliebe, dann soll man mich als tapferen Sieger in Erinnerung behalten, nicht als halb totgeschlagenen Krüppel.«
    »Du wirst wieder sehen«, tröstete der Lanista seinen Schützling, »die Götter werden nicht zulassen, daß ein so tapferer Gladiator so schmachvoll endet.«
    Vitellius holte tief Luft und sagte mit gequälter Stimme: »Ich habe eine Kindheit im Dunkeln zugebracht, plötzlich stand ich im Licht. Warum sollte es nicht mein Schicksal sein, wieder ins Dunkel zurückzukehren?«
    Auf einen Ruf von draußen eilte Polyclitus zur Tür. Nach einer Weile kam er zurück und sagte, der griechische Bildhauer sei da, er könne ihn jetzt nicht abweisen. Sein Wunsch sei es gewesen, ihn nach dem Kampf zu modellieren. Da stürmte der Künstler auch schon herein.
    »Vitellius; du Größter der Gladiatoren Roms«, tönte er überschwenglich, »Gruß und Gratulation zu deinem unglaublichen Sieg«, und dabei packte er Vitellius am Arm und dirigierte ihn nackt wie er war auf einen Marmorsockel. Arme und Hände des Gladiators waren noch bandagiert. »Locker, locker!« rief der Grieche und drehte den erbärmlich zugerichteten Kopf seines Modells zur Seite; dann klatschte er einen Klumpen gelbgrauen Tons auf sein Modellierbrett und begann sein Werk.
    Vitellius saß da, die Oberschenkel leicht gespreizt, die Unterschenkel angewinkelt. Der massige Oberkörper war nach vorn gebeugt, und mit den Ellenbogen stützte er sich auf den Oberschenkeln ab. Seinen Kopf hatte der Grieche unnatürlich nach rechts gedreht, damit er mit dem Brustkorb eine Linie bildete. Der Blick des Gladiators ging leicht nach oben, als blicke er auf die Tribüne im Circus.
    »Wie heißt du?« fragte Vitellius, ohne sich zu bewegen.
    »Apollonios«, antwortete der Grieche und musterte sein Modell, »mein Großvater gleichen Namens war der Sohn des berühmten Nestor von Athen. – Er hat dich arg zugerichtet.«
    »Baibus?«
    »Ja.«
    »Nicht der Rede wert. Ihr Griechen habt ja so hervorragende Ärzte. Ich hoffe nur, du modellierst mein Gesicht nicht so, wie es heute aussieht.«
    »Aber wie anders könnte ich dein Gesicht gestalten, als es sich mir darbietet. Es ist ein hartes, abgekämpftes Gesicht – eben das Gesicht eines Gladiators.«
    Polyclitus bestärkte den Griechen in seiner Ansicht und meinte, bevor die Skulptur in Bronze gegossen werde, könne er das Modell noch eingehend begutachten. Doch kaum hatte er den Satz ausgesprochen, erschrak er; er fürchtete, daß Vitellius nie mehr würde sehen können.

K APITEL 16
    I m Flavischen Amphitheater herrschte so hektisches Treiben, daß niemand die beiden Männer wahrnahm, die immer und immer wieder die ovale Arena umrundeten, sie in der Mitte durchkreuzten, den Weg vom Haupteingang zur Kaiserloge zurücklegten, da kehrtmachten und von neuem begannen. Zuerst hielt Polyclitus den Gladiator am Arm, führte ihn um das weite Rund, machte ihn auf jeden Mauervorsprung, jede Nische, jede Türe aufmerksam, richtete seinen Kopf auf den ersten, zweiten, dritten und vierten Rang, dann allmählich fand Vitellius sich selbst zurecht. Und am fünften Tag lief der blinde Gladiator schon sehr sicher durch die Arena und war bereits in der Lage, auf die Kaiserloge, die Pluvinarien, die Ehrenlogen oder die Porta libitinensis zu zeigen und den Weg zum Ausgang zu finden.
    »Was sind das für sphärenhafte Klänge?« fragte Vitellius seinen Trainer Polyclitus.
    Der blickte nach oben in den vierten Rang, wo Matrosen der kaiserlichen Flotte damit beschäftigt waren, armdicke Taue kreuz und quer über das riesige Theateroval zu ziehen. »Der Wind«, sagte Polyclitus, »fängt sich in den Seilen, die für das Sonnensegel aufgezogen werden. Der Kaiser hat für diesen Zweck eigens tausend Seeleute seiner Flotte aus Misenum abberufen. Sie überziehen die ganze Arena mit einem gigantischen Spinnennetz, über dem dann Stoffbahnen ausgerollt werden. Ein gefährliches Unternehmen – tagtäglich stürzen ein paar Matrosen aus schwindelnder Höhe ab.«
    Vitellius blickte nach oben, als könnte er das Gewirr der Taue und die in den Seilen hängenden Matrosen erkennen. Das Weltwunder, an das fünfzehntausend Techniker und Arbeiter letzte Hand anlegten, konnte er zwar nicht sehen, aber der Gladiator hörte es, er spürte die Atmosphäre des gewaltigen Bauwerkes, das sich um ihn herum in den Himmel türmte. Jeder Ruf, jedes Geräusch in der Arena, pflanzte sich wie in einer Ohrmuschel
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