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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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sollte.
    Da quoll eine Masse Neuankömmlinge durch die Schwingtür. Das Kofferband begann sich zu drehen. Dicke, schwere Kästen und riesige Gepäckstücke glitten träge und zäh vorbei. Dies hier waren keine Geschäftsmänner mit One-Night-Samsonite, dies hier waren richtige Weltreisende. Sie kamen von überall her. Und Einer kam aus Südafrika. Welcher mochte es sein? Wir betrachteten Inderinnen in Saris, Amerikaner in bunten Hemden, Schwarze, die in bodenlange weiße Gewänder gehüllt waren, eine Gruppe Südamerikaner, die laut und temperamentvoll miteinander sprachen, eine Familie, die offensichtlich aus dem Iran kam – der Mann ging vorweg, und vier oder fünf verschleierte Gestalten folgten ihm in gebührlichem Abstand. Die Frauen hatten ein schwarzgerastertes Gitter vor den Augen.
    Oskar starrte sie an. »Mama, warum sind die zugehängt?«
    »Halt die Schnauze, du Arsch!« Karl war das alles schrecklich peinlich. Er klammerte sich an meinen Westenzipfel. »Los, Mama, lass uns gehen!«
    »Weil niemand die sehen darf«, sagte ich. »Karl, bitte zerr nicht so an mir. Ich kippe sonst um.«
    »Mama, ich will den Emil abholen!« Katinka hoppelte auf meinem Arm herum.
    »Ja, mein Schatz. Wir holen den Emil ab. Karl, bitte organisier uns einen Kofferwagen, ja?« Ich stellte Katinka ab. »Kannst du solange die Blümchen halten?«
    Karl fand es peinlich, einen Kofferwagen zu holen, aber Oskar wollte einen Kofferwagen holen und damit sofort allen Umstehenden in die Hacken fahren. Katinkalein fing an zu schreien, weil sie nicht auf dem Boden stehen wollte und weil sie nicht die Blumen halten wollte und weil sie jetzt endlich Emil abholen wollte!
    Mir schoss die Milch ein. Schrecklich. Immer wenn ein Kind schrie, schoss mir die Milch ein. Egal welches Kind es war. Ein Stresssymptom, ganz klar. Mir schoss auch die Milch ein, wenn Oskar Flöte übte. Das war das schrecklichste Geräusch, das meine mütterlichen Milchdrüsen je gehört hatten. So viel Sauermilch konnte kein weiblicher Körper produzieren wie ich, wenn Oskar Flöte übte.
    Ich sah mich gestresst unter den zweihundert Menschen um, die inzwischen in den Kofferbandsaal gequollen waren.
    »Da ist er!«
    Zwischen der amerikanischen Reisegruppe und der indischen Familie stand ein einsamer Junge mit kinnlangen braunen Haaren. Er hatte mindestens drei Winterpullover und eine dicke Jacke an. Ganz klar. In Südafrika war ja jetzt Winter.
    Ich hob mein Katinkalein auf, setzte es auf die Kinderwagenkante und wühlte mich durch das Menschendickicht. Das ging nur, weil ich am Kinderwagen eine Fahrradklingel hatte. Oskarlein rollerte vergnügt mit seinem Kofferwagen hinterdrein. Karl fand das alles schrecklich peinlich und verharrte lieber in seiner Ecke.
    »Mamaaa! Hier darf man nicht klingeln!«
    »Ach, Junge, was man alles nicht darf!« Ich stupste meinen Ältesten ans Kinn und ging auf den einsamen Jüngling zu.
    »Hello! You are Emil, aren’t you?!«
    Wie blöd! Was hatte ich mir da zusammengefaselt? Du bist Emil, bist du nicht? Dabei wollte ich sagen: Tach, alter Junge, herzlich willkommen, wir haben dich sehnsüchtig erwartet, und zieh dir doch erst mal die drei kratzigen, verschwitzten Pullover aus!
    Emil nickte verstört, und ich drückte ihn kurzerhand an meinen prallen Stillbusen, aus dem es unaufhörlich vor sich hin tropfte. »Welcome to Cologne!« Ich strahlte das einsame blasse und übernächtigte Wesen herzlich an und überreichte ihm die zerdrückten Blümchen. »This is Oskar, he is seven years old, and this is Katinka, she will be three next month.«
    »Hi.« Emil lächelte schwach.
    »Los, Kinder, sagt ihm hello!«
    »Ich will dem nicht hello sagen!« Katinka zog es vor, wieder in meiner Halsbeuge zu verharren.
    Oskar wollte Emil gleich mal einen dreifachen Kofferkarrenschlenker zeigen und rammte dem iranischen Scheich das Ding in die Waden. Ich entschuldigte mich mit dem bezauberndsten aller weiblichen Lächeln bei dem böse blickenden Großwesir. Mein Gott, dachte ich. Schnell weg. Wir wuchteten Emils schwere Koffer auf die Karre. Dann wuchteten wir Katinka auf die Koffer. Oskar wollte sofort auch auf die Koffer gewuchtet werden, und Katinka wollte wieder runter, weil sie sich lieber in meiner Halsbeuge verstecken wollte. Karl fand das alles schrecklich peinlich und drückte sich neben den Zollbeamten an der Schranke herum.
    Mensch, Emil! Ich blickte wohlwollend auf den schüchternen jungen Mann an meiner Seite. Ab sofort tobst du mit meinen Kindern
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