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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition)
Autoren: Daniela Winterfeld
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wegwollte, um endlich etwas von der Welt zu sehen. Fina hatte ihrem Monolog gelauscht und sich gedacht, dass sie genug hatte von der Welt und dass es ihr reichen würde, irgendwo ein Zuhause zu finden. Doch sie hatte Celine nichts davon anvertraut. Sie war eine Fremde. Finas verkorkstes Leben ging sie nichts an.
    Die Stute wurde unruhig. Sie machte ein paar Schritte zum Wegesrand und senkte ihren Kopf, um zu fressen. Fina konnte es ihr nicht verübeln. Dennoch fasste sie die Zügel kürzer und trieb das Pferd zurück auf den Weg. Sie schob ihre Kamera in den Rucksack und setzte ihn wieder auf den Rücken.
    Obwohl es über dreißig Grad waren und der Schweiß nur so über ihre Haut rann, musste sie plötzlich an den Weihnachtsmann denken. Als sie klein war, hatte sie ihn jedes Jahr darum gebeten, ihr endlich ein richtiges Zuhause zu schenken. Aber der Weihnachtsmann hatte ihren größten Wunsch niemals erhört. Bis sie begriffen hatte, dass es ihn gar nicht gab und ihre Mutter die einzige Instanz war, die Wünsche erfüllen konnte – oder eben nicht.
    Fina seufzte ein drittes Mal. Seit sie ihre Abiturprüfung bestanden hatte, war sie unruhig. Sie wollte studieren: Fotografie, ganz egal, an welchem Ort. Hauptsache, sie wurde an irgendeiner Uni zugelassen und konnte für ein paar Jahre dort bleiben.
    Ein paar Jahre … Ein großer Wunsch, wenn man fliehen musste. Fina wusste nicht, ob das überhaupt möglich wäre, aber sie musste endlich mit ihrer Mutter darüber reden.
    Ihr Blick fiel wieder auf Celine. Für einen Moment wünschte sie sich, sie käme in ihre Richtung. Seit ihrem ersten Gespräch war Fina ihr Tag für Tag ausgewichen. Celine hatte die Ablehnung schnell gespürt, und immer, wenn sie einander doch einmal über den Weg liefen, erkannte Fina den verletzten Stolz in ihrem Gesichtsausdruck.
    Falls die Nachbarstochter ihr jetzt entgegenkäme, würde sie sich bei ihr entschuldigen. Sie würde ihr das UFO-Bild zeigen und ihr vielleicht sogar erklären, warum sie sich so bescheuert verhalten hatte.
    Celine ritt an dem Lavendelfeld vorbei, vorbei an dem Traktor, der ihm Reihe für Reihe seine lila Farbe nahm – und schlug schließlich den Weg ein, der in die entgegengesetzte Richtung führte.
    Für einen Moment war Fina versucht, ihr zuzurufen. Doch stattdessen sprach sie nur mit sich selbst. »Je suis désolée. Ich hab’s wohl nicht besser verdient.«
    Dabei hätten sie Freundinnen werden können.
    Fina hatte nie viele Freunde besessen. Sie war nie in eine richtige Schule gegangen, und wenn überhaupt, dann hatte es nur Nachbarskinder gegeben, mit denen sie sich anfreunden konnte. Doch es endete jedes Mal auf die gleiche Weise: Man schrieb sich noch ein paar Briefe, und irgendwann kam keine Antwort mehr.
    Je länger eine Brieffreundschaft gedauert hatte, desto enttäuschter war Fina hinterher gewesen – und je älter sie geworden war, desto deutlicher hatte sie begriffen, dass es immer so weitergehen würde. Also hatte sie aufgehört, sich für andere zu interessieren. Stattdessen versuchte sie mit aller Kraft, sich an nichts zu hängen. Nicht einmal das Pferd nannte sie bei seinem Namen.
    Tränen traten in ihre Augen, lösten sich und mischten sich mit dem Schweiß auf ihrem Gesicht. Fina wischte sie wütend beiseite. Ihr Blick fiel auf das Postauto, das von weitem auf das Weingut zufuhr. Sie bog in den Pfad ein, der wieder ins Tal führte, trieb die Stute zum Galopp und raste den Weinberg hinab, an dem Lavendelfeld und dem Traktor vorbei, bis sie die Straße erreichte. Der Postbote kam heute früh. Oder sie hatte sich zu viel Zeit gelassen und nicht darauf geachtet, wie spät es war.
    Fina keuchte, als sie ihr Pferd neben der Straße anhielt. Das Postauto hatte bereits am Weingut gehalten und fuhr auf sie zu. Der Postbote lächelte ihr entgegen, hielt neben ihr an und ließ die Fensterscheibe herunter. »Ça va?«
    Fina sprang vom Pferd, fasste es am Zügel und stützte sich in den Fensterrahmen. »Ça va.« Die Worte legten den kleinen Sprachschalter um, der schon seit Ewigkeiten in ihrem Kopf saß. Wie ein kleiner Babelfisch übersetzte er alles, was sie hörte oder sagen wollte: auf Französisch, Englisch, Spanisch oder Portugiesisch, je nachdem, welche Sprache den Schalter aktiviert hatte.
    Der Mann zwinkerte ihr zu. »Du hast dich doch nicht wegen mir so gehetzt?« Er beugte sich zu dem Kasten auf seinem Beifahrersitz, suchte zwei große Umschläge heraus und reichte sie ihr. »Warum wartest du
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