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Der falsche Apostel

Der falsche Apostel

Titel: Der falsche Apostel
Autoren: P Tremayne
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liegenden grauen
     Klosters anlangte. Sie war spät dran. Die Andacht war vorüber, und die Schwestern hatten sich bereits in den Speisesaal zum
     abendlichen Mahl begeben. Fidelma klopfte flüchtig den Reisestaub von der Kleidung, eilte zum Refektorium und huschte in demütiger
     Haltung mit gesenktem Kopf und in den Falten des Habits verschränkten Armen an ihren Platz.
    Einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass die Kopfhaltung das einzige Anzeichen von Demut an ihrer äußeren Erscheinung
     war. Selbst die Schwesterntracht konnte die schlanke, wohlgefällige Figur nicht verbergen; der Gang verriet Lebensfreude und
     Tatendrang, weniger Ergebenheit und in sich gekehrte Würde, wie man es von Nonnen kannte. Widerspenstige rote Haarsträhnen,
     die sich unter dem Schleier hervordrängten, unterstrichen den Eindruck; sie passten gut zu dem blassen, jugendlich frischen
     Gesicht und den leuchtend grünen Augen, die fröhlich in die Welt schauten.
    Qualmende Öllampen gaben dem Saal Licht; ihr stechender Geruch vermischte sich mit dem von brennendem Torf, denn an der Stirnseite
     des Raumes schwelte ein Feuer. Beides, Lampen und Herdstelle, sorgten für etwas Wärme an dem kalten Vorfrühlingsabend.
    |18| Die Äbtissin hatte bereits zum
Gratias
angehoben, als Schwester Fidelma ihrem Platz am Ende eines der langen Tische zustrebte, wo sie etwas atemlos und in ungebührlicher
     Hast das Knie beugte. Teils empörte, teils amüsierte Blicke der Mitschwestern begleiteten sie.
    » Benedic nobis, Domine Deus, et omnibus donis Tuis, quae ex larga liberalitate Tua sumpturi sumus per
…«
    Einem plötzlichen Schmerzensschrei folgten Sekunden erschrockenen Schweigens. Sie vernahmen den Aufschrei ein zweites Mal,
     ein unbeherrschtes Stöhnen aus männlicher Kehle, dann den dumpfen Aufprall eines menschlichen Körpers und das Geräusch splitternden
     Geschirrs. Schwester Fidelma war nicht die Einzige, die ob der unerwarteten Ruhestörung den Kopf hob; erregtes Geflüster ging
     durch den Saal.
    Alle Blicke wanderten zu dem Tisch, der für die Gäste des Hauses der heiligen Brigid in Kildare vorgesehen war und an dem
     sichtliche Aufregung herrschte. Eine Schwester eilte zu dem auf einem Podest stehenden Tisch, von dem aus man die im Saal
     Versammelten im Auge haben konnte und wo die Äbtissin und die anderen führenden Mitglieder des Hauses hinter ihren Plätzen
     standen.
    Es war Schwester Poitigéir, die Apothekerin, die der Äbtissin in heller Aufregung etwas ins Ohr flüsterte. Die Äbtissin verzog
     keine Miene. Mit einer Kopfbewegung fertigte sie die Schwester ab.
    Inzwischen war das Getuschel in ein Stimmengewirr übergegangen. An die hundert Mitglieder der Gemeinschaft waren nach der
     abendlichen Vesper in den Saal geströmt, um das letzte Mahl des Tages einzunehmen.
    Ruhe gebietend, hämmerte die Äbtissin mit ihrem irdenen Becher auf den Tisch. Sie war finster entschlossen, in ihrem Dankgebet
     fortzufahren.
    |19| »…
sumus per Jesum Christum Dominum nostrum. Amen. «
    Zwei Schwestern mühten sich, einen Mann – wie es Fidelma schien – aus dem Saal zu schaffen. Follaman, ein großer Mensch mit
     rötlichem Gesicht, dessen Aufgabe es war, sich um die männlichen Besucher im Gästehaus zu kümmern, kam ihnen zu Hilfe.
    » Amen .«
Rau hallte das Schlusswort durch den Raum, und die hundert Anwesenden glitten nahezu lautlos auf ihre Plätze. Normalerweise
     hätte jetzt mit dem Herumreichen von Brot die Mahlzeit beginnen sollen, doch die Äbtissin hob die Hand und gebot den Verantwortlichen,
     mit dem Austeilen zu warten.
    Aufmerksames Schweigen. Sie räusperte sich. »Meine Kinder, wir müssen uns ein wenig gedulden. Unserem Gast ist plötzlich unwohl
     geworden, und wir müssen den Bericht unserer Apothekenschwester abwarten. Sie glaubt, er könnte etwas zu sich genommen haben,
     das ihm nicht bekommen ist.«
    Sie begegnete dem augenblicklich ertönenden aufgeregten Gemurmel mit einer gebieterischen Bewegung ihrer schmalen, weißen
     Hand. »Während wir hier warten, übernimmt Schwester Murgain das Gebet …«
    Ohne weitere Erklärung entschwebte die Äbtissin, und Schwester Murgain intonierte in einem Gemisch von Latein und Irisch mit
     schriller Stimme:
    Regem regum rogamus
    In nostris sermonibus
    anacht Nóe a luchtlach
    diluvii temporibus
     
    König der Könige,
    Wir beten zu dir,
    Der du Noah beschützt hast
    Zu Zeiten der Sintflut.
     
    |20| Schwester Fidelma beugte sich zu Schwester Luan, einem
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