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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg
Autoren: Volker Berghahn
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von Tisza, unterstützt von seinem österreichischen Kollegen Karl Graf Stürgkh, einen kühlen Kopf zu bewahren.
    Zwischen diesen beiden Flügeln stand der greise Franz Joseph, der zusammen mit dem österreichisch-ungarischen Außenminister Leopold Graf von Berchtold den Falken mehrmals widersprochen hatte, nicht zuletzt weil er glaubte, dass die Deutschen und Rumänen die Habsburger im Stich lassen würden. Um darüber mehr zu erfahren und sich möglichst fest der deutschen Unterstützung zu versichern, entsandte Franz Joseph I. Alexander Graf von Hoyos mit einem persönlichen Schreiben für Wilhelm II. nach Berlin.
    Dort waren die Entscheidungsträger nach dem 28. Juni ebenfalls in zwei Lager zerfallen. Auf der einen Seite standen Moltke und die Generäle, die mit Hilfe einer österreichisch-ungarischen Strafexpedition gegen Serbien einen großen Konflikt auslösen wollten. Wie erwähnt, glaubte Moltke, dass sich das Mächtegleichgewicht ab 1915/16 gegen die zentraleuropäischen Monarchien verschieben würde. Danach sei an einen siegreichen Krieg gegen Russland und seinen Verbündeten Frankreich nicht mehr zu denken. Auch der deutsche Kaiser hatte auf das Attentat von Sarajewo zuerst mit einem «Jetzt oder Nie» reagiert.
    Fritz Fischer entwickelte in den sechziger Jahren aus solchen und anderen Äußerungen die These, dass Berlin von Anfang an auf die große Abrechnung in einem Weltkrieg setzte, der zugleich – so der Titel seines berühmten Buches – ein deutscher «Griff nach der Weltmacht» war. Auch Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg habe in den Tagen Anfang Juli eine solche Strategie vertreten. Alles, was nach der Veröffentlichung von Fischers Buch in neuen Dokumenten über die deutsche Haltung ans Tageslicht gekommen ist, deutet indessen eher darauf hin, dass auch in Berlin eine Spaltung der Meinungen eintrat. Bethmann vertrat im Gegensatz zu Moltke eine gemäßigtere Linie, und weil Franz Joseph I. und Berchtold nicht mehr als eine Strafexpedition gegen Serbien anzuvisieren schienen, überredete er Wilhelm II., Wien seinen «Blankoscheck» nur für eine begrenzte Aktion auf dem Balkan auszustellen.
    Zwar besitzen wir keine direkte Stellungnahme des deutschen Kaisers oder ein Protokoll seiner Unterredung mit Hoyos; doch gibt es eine Reihe von Berichten von militärischen Beratern, die den Monarchen kurz nach der Hoyos-Mission sprachen. Ihnen zufolge äußerte Wilhelm II. die Ansicht, dass Österreich-Ungarn zwar nach einem Ultimatum an Belgrad bei dessen Nichterfüllung in Serbien einmarschieren werde; allerdings hielt er «ein Eingreifen Russlands zur Deckung von Serbien nicht für wahrscheinlich, weil der Zar die Königsmörder nicht unterstützen werde und weil Russland zur Zeit militärisch und finanziell völlig kriegsunfertig sei. Gleiches gelte, besonders in finanzieller Beziehung, für Frankreich. Von England hat S[eine] M[ajestät] nicht gesprochen.» Er habe daher «dem Kaiser Franz Joseph sagen lassen, dass er sich auf ihn verlassen könne». Insgesamt glaubte Wilhelm II., «dass sich die Situation in 8 Tagen durch Nachgeben Serbiens klären würde». Seine weitere Bemerkung, dass man auch «für einen anderen Ausgang gerüstet» sein müsse, deutet darauf hin, dass man sich eines Risikos hinsichtlich der Reaktion der anderen Großmächte, voran des Zarenreichs, durchaus bewusst war. Doch zeigt auch das andere einschlägige Material, dass man dieses Risiko für gering genug einschätzte, um es als tragbar zu erachten.
    Es sieht also so aus, als habe die «Taube» Bethmann den Kaiser am 5. Juli gegen Moltke auf einen begrenzten Konflikt festgelegt. Moltke blieb nur die Wahl, zuzustimmen und abzuwarten, ob diese Strategie Erfolg haben würde. Dementsprechend ging in Berlin die gesamte erste militärische Garnitur in den Sommerurlaub. Auch der Kaiser trat seine Kreuzfahrt nach Norwegen an, während Bethmann und Jagow von Berlin aus die Entwicklungen in Wien scharf beobachteten.
3. Missmanagement und Fehlkalkulationen in der Julikrise 1914
    Indessen zeigte der Hinweis des Kaisers, die Lage auf dem Balkan werde sich innerhalb einer Woche klären, auch, dass der deutsche «Blankoscheck» auf zwei weiteren Kalkulationenberuhte, nämlich, dass sich die Wiener schnell auf den Text ihres Ultimatums einigen würden und bei einer Weigerung Serbiens, die österreichisch-ungarischen Forderungen zu akzeptieren, sofort kriegsbereit wären. Beide Annahmen stellten sich als falsch heraus.
    Aus
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