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Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)

Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)

Titel: Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Autoren: Max Stirner
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dazu dient: ihr Geist ist der unbestechliche Verstand .
    Heutzutage würde man das eine einseitige Verstandesbildung nennen und die Mahnung hinzufügen: Bildet nicht bloß Euren Verstand, sondern besonders auch Euer Herz. Dasselbe tat Sokrates . Wurde nämlich das Herz von seinen natürlichen Trieben nicht frei, sondern blieb es vom zufälligsten Inhalt erfüllt und als eine unkritisierte Begehrlichkeit ganz in der Gewalt der Dinge, d. h. nichts als ein Gefäß der verschiedensten Gelüste , so konnte es nicht fehlen, daß der freie Verstand dem »schlechten Herzen« dienen mußte und alles zu rechtfertigen bereit war, was das arge Herz begehrte.
    Darum sagt Sokrates, es genüge nicht, daß man in allen Dingen seinen Verstand gebrauche, sondern es komme darauf an, für welche Sache man ihn anstrenge. Wir würden jetzt sagen: Man müsse der »guten Sache« dienen. Der guten Sache dienen, heißt aber – sittlich sein. Daher ist Sokrates der Gründer der Ethik.
    Allerdings mußte das Prinzip der Sophistik dahin führen, daß der unselbständigste und blindeste Sklave seiner Begierden doch ein trefflicher Sophist sein und mit Verstandesschärfe alles zu Gunsten seines rohen Herzens auslegen und zustutzen konnte. Was gäbe es wohl, wofür sich nicht ein »guter Grund« auffinden, und was sich nicht durchfechten ließe?
    Darum sagt Sokrates: Ihr müßt »reinen Herzens sein«, wenn man eure Klugheit achten soll. Von hier ab beginnt die zweite Periode griechischer Geistesbefreiung, die Periode der Herzensreinheit . Die erste nämlich kam durch die Sophisten zum Schluß, indem sie die Verstandesallmacht proklamierten. Aber das Herz blieb weltlich gesinnt , blieb ein Knecht der Welt, stets affiziert durch weltliche Wünsche. Dies rohe Herz sollte von nun an gebildet werden: die Zeit der Herzensbildung . Wie aber soll das Herz gebildet werden? Was der Verstand, diese eine Seite des Geistes, erreicht hat, die Fähigkeit nämlich, mit und über allem Gehalt frei zu spielen, das steht auch dem Herzen bevor: alles Weltliche muß vor ihm zu Schanden werden, so daß zuletzt Familie, Gemeinwesen, Vaterland u. dergl. um des Herzens, d. h. der Seligkeit , der Seligkeit des Herzens willen, aufgegeben wird.
    Alltägliche Erfahrung bestätigt es, daß der Verstand längst einer Sache entsagt haben kann, wenn das Herz noch viele Jahre für sie schlägt. So war auch der sophistische Verstand über die herrschenden, alten Mächte so weit Herr geworden, daß sie nur noch aus dem Herzen, worin sie unbelästigt hausten, verjagt werden mußten, um endlich an dem Menschen gar kein Teil mehr zu haben.
    Dieser Krieg wird von Sokrates erhoben und erreicht seinen Friedensschluß erst am Todestage der alten Welt.
    Mit Sokrates nimmt die Prüfung des Herzens ihren Anfang, und aller Inhalt des Herzens wird gesichtet. In ihren letzten und äußersten Anstrengungen warfen die Alten allen Inhalt aus dem Herzen hinaus, und ließen es für Nichts mehr schlagen: dies war die Tat der Skeptiker. Dieselbe Reinheit des Herzens wurde nun in der skeptischen Zeit errungen, welche in der sophistischen dem Verstande herzustellen gelungen war.
    Die sophistische Bildung hat bewirkt, daß Einem der Verstand vor nichts mehr still steht , und die skeptische, daß das Herz von nichts mehr bewegt wird.
    Solange der Mensch in das Weltgetriebe verwickelt und durch Beziehungen zur Welt befangen ist – und er ist es bis ans Ende des Altertums, weil sein Herz immer noch um die Unabhängigkeit von Weltlichem zu ringen hat – solange ist er noch nicht Geist; denn der Geist ist körperlos und hat keine Beziehung zur Welt und Körperlichkeit: für ihn existiert nicht die Welt, nicht natürliche Bande, sondern nur Geistiges und geistige Bande. Darum mußte der Mensch erst so völlig rücksichtslos und unbekümmert, so ganz beziehungslos werden, wie ihn die skeptische Bildung darstellt, so ganz gleichgültig gegen die Welt, daß ihn ihr Einsturz selbst nicht rührte, ehe er sich als weltlos, d. h. als Geist fühlen konnte. Und dies ist das Resultat von der Riesenarbeit der Alten, daß der Mensch sich als beziehungs- und weltloses Wesen, als Geist weiß.
    Nun erst, nachdem ihn alle weltliche Sorge verlassen hat, ist er sich Alles in Allem, ist nur für sich, d. h. ist Geist für den Geist, oder deutlicher: bekümmert sich nur um das Geistige.
    In der christlichen Schlangenklugheit und Taubenunschuld sind die beiden Seiten der antiken Geistesbefreiung, Verstand und Herz so vollendet,
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