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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
Autoren: Elinor Lipman
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Rays Tanzflächen-Fantasien mussten beschnitten werden, als wir die Feier nach innen verlegten. Kellner wurden dazu vergattert, den Buchara samt Unterlage aus dem Arbeitszimmer im Erdgeschoss zu entfernen, wobei sich derart viel Staub materialisierte, dass meine Mutter nach dem Staubsauger rief.
    Das Essen, so hieß es allgemein, war ein Traum - roher Fisch in würzigen Emulsionen in Martinigläsern schwebend, um nur eine der fantasievollen Kreationen hervorzuheben. Die Eisskulptur sollte meine Klinik darstellen - ich erkannte das zylindrische Parkhaus an der Vorderseite -, doch sie zerschmolz bald zur Unkenntlichkeit. Der Barmann wurde als Martini-Genie gepriesen, wobei sich der Hauptteil der Konversation darum drehte, welche Unterkategorie und Schattierung des Hauscocktails die Gäste gewählt hatten. »Die Bar ist geöffnet!«, verkündete Ray mehr als einmal und lotste den Verkehr in Richtung der Gins, Wodkas und Martinis.
    Geschah es infolge des Rats von um unsere finanziellen Aussichten besorgten Eltern, oder war es so üblich - die Mehrzahl der Gäste steckte Ray Schecks zu, dem es gelang, bei der Übergabe jedes einzelnen weißen Umschlags gleichzeitig überrascht und beschämt dreinzuschauen.
    »Soll ich sie in meine Tasche stecken?«, fragte ich ihn.
    »Ja, später.«
    Irgendetwas war anders als bei anderen Hochzeiten. Vielleicht war es ja das Ambiente oder der Lieferwagen mit der Aufschrift »Feiern mit Frederick« in der Einfahrt, aber das Ganze erinnerte mich an die Zusammenkünfte anlässlich der Beerdigungen meiner sämtlichen Großeltern. Ich fragte Ray, warum seine Familie so unterrepräsentiert sei. Hatten wir nicht auf beiden Seiten fünfundsiebzig eingeladen?
    »Samstag ist ein Werktag«, sagte er. »Außerdem fühlten sich etliche ein wenig eingeschüchtert von dir.«
    »Ohne mich je gesehen zu haben?«
    »Auf dem Papier, meine ich: MIT, Harvard. Der Umstand, dass die Feier in Princeton, New Jersey stattfindet. Am Einstein Drive. Einige sind noch nie über Suffolk County hinausgekommen.«
    Er trank von seinem grünen Martini. »Und außerdem - wer braucht mehr Leute, die sich in die Schlange quetschen, wenn der Küchengong schallt.« Er grinste. »Ich sicher nicht.«
    »Und dann müssen wir ja auch weniger Dankesbriefe schreiben«, ergänzte ich.
    »Machst du Witze? Man schickt natürlich ein Geschenk, egal, ob man kommt oder nicht.«
    Es gab ein lautes Rückkopplungs-Quietschen - meine Mutter mit einem Mikrofon in der einen und einem brackwasserfarbenen Martini in der anderen Hand. »Ich bitte alle näher zu kommen. Ich verspreche, ich werde keine Dauerrede halten, und ich verspreche, dass es Musik gibt und mehr von Fredericks fantastischem Essen.« Sie strich sich über ihre Haarrolle und holte tief Luft. »In der heutigen Zeit weiß man als Mutter nie, ob man jemals die Gelegenheit bekommt, vor Freunden und Verwandten einen Trinkspruch auf die Hochzeit seiner Tochter auszusprechen. Aber da steh ich jetzt und erhebe mein Glas auf Alice und Ray.« Sie lächelte tapfer. »Als ich die beiden zum ersten Mal zusammen sah, kam mir das Wort Seelenverwandte nicht in den Sinn. Um die Wahrheit zu sagen - und ich kann kaum glauben, dass ich das jetzt beichte: Ich dachte, er sei ihr Chauffeur. Aber es hat nicht lange gedauert, bis ich die Dynamik verstand. Ray ist unternehmungslustig, pragmatisch und gewitzt. Alice hingegen ist der Prototyp der Akademikerin. Arbeit und Wissenschaft kommen stets vor Menschen. Das dachte ich zumindest. Niemand kennt Alice so lange, wie ich sie kenne. Ich habe ihren Herzschlag neun Monate lang unter meinem Herzen gespürt, ich habe sie gestillt und aufgezogen, sie zu ihren diversen Vertiefungskursen und Wettbewerben gefahren. Ich glaube also, dass niemand besser qualifiziert ist zu sagen, mein Baby hat entgegen allen Erwartungen und über eine, bildlich gesprochen, große Distanz einen Mann gefunden, der unter die Oberfläche sieht … ein Mann, der entdeckt hat, dass Alice’ Herz Bände spricht, auch wenn es sich nicht ausdrücken kann oder schweigt. Ja, sie ist der wissenschaftliche Typ. Aber er hat sie unters Mikroskop gelegt und gesehen, was durch diese unerforschten Venen pulsiert und rauscht und was sie verstopft. Ray ist zwar eine unbekannte Größe - womit ich meine, dass er ein eher neuer Bekannter ist -, aber als Eltern muss man nur sehen, wie er Alice ansieht, um zu verstehen, dass diese Hochzeit ein Grund ist zum Feiern und zur Dankbarkeit und, na ja,
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