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Der Domino-Killer

Der Domino-Killer

Titel: Der Domino-Killer
Autoren: Kate Pepper
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er sich vor und überwand auch das letzte bisschen Abstand zwischen uns. Sein Gesicht war mir jetzt so nahe, dass unsere Nasenspitzen sich berührten.
    « Sieh mich an. »
    Sein Geruch war unerträglich, und ich konnte einen starken Brechreiz nicht unterdrücken. Mein Mageninhalt stieg mir auf. Ich schluckte ihn wieder herunter. Und dann konnte ich nicht mehr länger standhalten: Ich sah JPP direkt in die Augen.
    Die erstaunlich menschlich aussahen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Er wollte etwas. Und zwar sehr. Verzehrte sich danach. Während er mir in die Augen starrte, presste er die Spitze seines Messers gegen mein Brustbein. Ich fühlte, wie der Stoff meiner Bluse riss. Fühlte, wie die scharfe Klinge des Messers meine Haut einritzte. Wie an der Stelle Blut austrat.
    «Du willst es genauso sehr wie ich», sagte er. «Das spüre ich.»
    Ich versuchte, meinen Blick von seinem zu lösen, brachte es aber nicht fertig. Wir waren uns zu nahe. Ich wartete darauf, dass er sein Seil nehmen würde, damit er mich an den Stuhl binden und mit der Arbeit beginnen konnte. Tat er aber nicht. Stattdessen entschied er sich dafür, mich mit den Augen festzuhalten, machte sich zunutze, dass ich meinen Fluchtimpuls unterdrückte, spürte seine Macht, mich zu kontrollieren, meine Bereitwilligkeit, mich ihm zu fügen.
    Sein Gesicht kam näher, unsere Nasenflügel rieben sich aneinander, und unsere Lippen trafen sich. Ich hatte ihn gefühlt, gehört, gerochen, und nun schmeckte ich ihn: sauer, salzig, nach Minze. Seine Lippen fühlten sich gummiartig an. Ein toter Fisch: Das war sein Körper. Ein fahler, glitschiger, stinkender Fisch.
    Er beugte sich zurück, presste das Messer fest gegen mich und griff mit der freien Hand in seine Hosentasche. Dann zog er einen Dominostein heraus, ihm folgten drei weitere. Vier Dominos. Aber natürlich: Nach mir war jemand anderes dran. Mein Herz klopfte wild. Jemand aus meiner Familie.
    Das war seine Nummer. In meinem Wahn hatte ich nicht so weit gedacht. Er spielte ein Spiel, bei dem er Zug um Zug machte bis zum großen Finale. Mit mir würde er nicht aufhören.
    «Weit aufmachen.» Es klang wie beim Zahnarzt. Unbeteiligt. Als erledigte er eben nur seinen Job.
    Ich presste die Lippen zusammen. Eigentlich hätte es mir egal sein könne, weil ich beschlossen hatte, alles über mich ergehen zu lassen. Ich hatte ihn erwartet, sein Kommen freudig begrüßt, mich erst dem Messer und dann dem Kuss ergeben. Aber etwas in mir weigerte sich, mir die Dominosteine in den Mund schieben zu lassen. Pure Sturheit. Ekel. Eine innere Grenze. Irgendetwas.
    Mit den Dominos in der Faust presste er den Knöchel seines Zeigefingers zwischen meine Lippen. Mein Mund öffnete sich unter dem Druck, während er seinen Finger hineinzwang. Wieder ein rein instinktiver Impuls: Meine Zähne packten seinen gekrümmten Finger, bis ich Blut schmeckte, wie ich zu meiner Überraschung voller Befriedigung feststellte.
    Er stöhnte auf, zog den Finger aus meinem Mund und öffnete unwillkürlich die Faust. Die Dominosteine fielen auf den Tisch. Vier Dominos zwischen den Karten. Zwei verschiedene Spiele trafen aufeinander. Seines und meins.
    Drei. Sechs. Vier. Eins. Fünf. Zwei. Drei.
    Mein Gehirn versuchte fieberhaft, den tieferen Sinn dieser Zahlen zu entschlüsseln. Vier, sechs, fünf, zwei, eins, drei, drei. Ich setzte sie immer wieder in neuen Kombinationen zusammen. Was hatten sie zu bedeuten? Die Sozialversicherungsnummern meiner Familie kannte ich nicht. Und für ihre Postleitzahl oder Hausnummer war eine siebenstellige Zahl zu lang. Was kam sonst noch in Frage? Was noch? Führerscheine, Ausweise, Kontonummern. Geheimzahlen und Passwörter, die mir selbstverständlich nicht bekannt waren. Geburtstage. Die kannte ich alle – ich war eine Tochter, Schwester und Tante, die nie einen Geburtstag vergaß. Gedanklich blätterte ich in rasendem Tempo den Kalender durch, verglich die Zahlen auf der Suche nach einer Übereinstimmung.
    Nichts.
    Aber sie mussten eine Bedeutung haben.
    Was verbarg sich dahinter?
    Wen wollte JPP als Nächstes umbringen?
    Meine Mutter?
    Meinen Vater?
    Meinen älteren Bruder Jon? Seine Frau Andrea? Ihre Tochter Susanna?
    Wen ?
    Ich drückte mich vom Tisch ab, und mein Stuhl rutschte rückwärts mit mir fort, weg vom Messer. Nur ein paar Zentimeter, aber das reichte, um mein Knie zwischen JPP und mich zu zwängen. Ich rammte es ihm mit voller Kraft zwischen die Beine. Sah zu, wie der Schmerz seinen Körper
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