Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Chancellor

Titel: Der Chancellor
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
vierzig Jahre an den Schläfen schon ansieht, geistlos, unbelesen und ohne Unterhaltungsgabe. Sie schaut wohl hinaus, aber sieht Nichts; sie hört wohl, aber versteht Nichts. Ob sie wohl denken mag? Ich möchte es nicht behaupten.
    Die einzige Beschäftigung dieser Frau besteht darin, sich jeden Augenblick von ihrer Gesellschaftsdame, der Miß Herbey, einer zwanzigjährigen Engländerin von sanftem und einnehmendem Wesen, bedienen zu lassen, einem jungen Mädchen, welches die wenigen Pfunde, die ihr der Oelbaron zuwirft, wohl nicht ohne Kränkung annimmt.
    Diese Dame ist sehr hübsch; eine Blondine mit tiefblauen Augen, zeigt sie nicht jenes nichtssagende Gesicht, dem man bei so vielen Engländerinnen begegnet. Gewiß wäre ihr Mund reizend, wenn sie einmal Zeit oder Gelegenheit hätte, zu lächeln.Worüber sollte das arme Mädchen aber lächeln können, da sie jeden Augenblick den sinnlosen Nörgeleien und lächerlichen Launen ihrer Herrin ausgesetzt ist? Doch, wenn Miß Herbey im Inneren gewiß tief leidet, so verbirgt sie das doch und erscheint in ihr Schicksal völlig ergeben.
    William Falsten, ein Ingenieur aus Manchester, vertritt den vollkommen englischen Typus. Er leitet ein großes Wasserwerk in Süd-Carolina und geht jetzt nach Europa, um neue vervollkommnetere Maschinen kennen zu lernen, unter Anderem die Centrifugen der Firma Cail. Ein Mann von fünfundvierzig Jahren, steckt etwas von einem Gelehrten in ihm, der aber nur an seine Maschinen denkt, den Mechanik und Rechnungen von Kopf bis zum Fuß erfüllen und der darüber hinaus für Nichts mehr Sinn hat. Wen er in seine Unterhaltung verwickelt, der kann unmöglich wieder davon loskommen und bleibt wie von einem endlosen Zahnrade darin gefesselt.
    Mr. Ruby endlich repräsentirt den ganz gewöhnlichen Kaufmann ohne Erhabenheit und Originalität. Seit zwanzig Jahren hat dieser Mann nichts gethan, als zu kaufen und zu verkaufen, und da er im Allgemeinen theurer verkaufte, als er eingekauft hat, so hat er sich ein Vermögen erworben. Was er damit anfangen soll, weiß er selbst noch nicht. Dieser Ruby, dessen ganze Existenz in seinem Kramhandel aufging, denkt nicht und reflectirt nicht. Sein Gehirn ist für jeden Eindruck unzugänglich, und er rechtfertigt in keiner Weise das Wort Pascal's: »Der Mensch ist offenbar zum Denken erschaffen, nur das macht seine Würde aus, und bildet sein Verdienst.«

V.
    Am 7. October.
    – Wir haben Charleston vor zehn Tagen verlassen, und wie mir scheint, gute Fahrt gemacht. Ich plaudere häufig mit dem zweiten Officier, und es hat sich zwischen uns eine gewisse Vertrautheit ausgebildet.
    Heute meldet mir Robert Kurtis, daß wir uns nicht weit mehr von den Bermuden-Inseln, d. h. gegenüber dem Cap Hatteras, befinden. Die Beobachtung hat 32º 20' nördliche Breite und 64º 50' westliche Länge von Greenwich ergeben.
    Wir werden die Bermuden, und speciell die Insel St. Georg, noch vor Nacht in Sicht bekommen, sagte mir der zweite Officier.
    – Wie, habe ich ihm geantwortet, wir steuern auf die Bermuden? Ich war der Meinung, daß ein von Charleston nach Liverpool segelndes Schiff nach Norden halten und dem Golfstrome folgen müsse.
    – Gewiß, Mr. Kazallon, antwortete Robert Kurtis, gewöhnlich schlägt man diese Richtung ein, es scheint aber, als habe der Kapitän für dieses Mal die Absicht, davon abzugehen.
    – Warum?
    – Das weiß ich nicht, er hat aber befohlen nach Osten zu steuern, so geht der Chancellor nach Osten!
    – Haben Sie ihm aber nicht bemerkt, daß...
    – Ich habe ihm bemerkt, daß das nicht dergebräuchliche Weg sei, und er hat mir geantwortet, daß er schon wisse, was er zu thun habe.«
    Bei diesen Worten zog Robert Kurtis mehrmals die Augenbrauen zusammen, strich mit der Hand über die Stirn und schien mir nicht Alles auszusprechen, was er sagen wollte.
    »Inzwischen, Mr. Kurtis, habe ich ihm gesagt, wir sind schon am 7. October, und das scheint mir keine geeignete Zeit, neue Schiffswege versuchsweise zu befahren. Wenn wir noch vor Eintritt der schlechten Jahreszeit in Europa anlangen wollen, haben wir keinen Tag zu verlieren.
    – Nein, Mr. Kazallon, nicht einen Tag!
    – Halten Sie mich für indiscret, Mr. Kurtis, wenn ich die Frage an Sie richte, was Sie von Kapitän Huntly halten?
    – Ich denke, antwortete mir der zweite Officier, ich denke, daß ... er mein Kapitän ist!«
    Diese ausweichende Antwort konnte nicht zu meiner Beruhigung dienen.
    Robert Kurtis hatte sich nicht getäuscht. Gegen drei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher