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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Claudia Schulligen
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gestohlen hatte, wirbelten durch die Straßen.
    »Kaum kommt der Herbst, hast du nur noch die Jagd im Sinn! Als mein Sohn solltest du den Tag weiß Gott mit würdigeren Dingen verbringen. Vergiss nicht, dass der Name deiner Väter für Verantwortung steht.« Sebastian beendete seine vor Spott triefende Rede mit sorgenvoll gefurchter Stirn und übertriebenem Kopfschütteln. Dann brach er in schallendes Gelächter aus, in das seine beiden Freunde lauthals einfielen. Wie er trugen sie für die Jagd geschneiderte, eng anliegende Beinkleider unter halblangem, gegürtetem Rock.
    »Warum sollen wir uns das Gezeter meines Vaters wegen dieses harmlosen Vergnügens jetzt schon anhören – dafür bleibt später noch genügend Zeit. Lasst uns lieber im Stall vorbeischauen. Ihr müsst Euch die beiden Rappen ansehen, die wir von dem Juden Gabriel gekauft haben. Prächtige Tiere, sage ich Euch, feurig wie die Sarazenenpferde, von denen die Jerusalempilger schwärmen!« Mit diesen Worten schwang sich Sebastian von seinem Fuchs, der noch immer unruhig tänzelte und unermüdlich mit dem Schweif schlug. Rasch streifte er den Köcher ab und zog seine Kappe vom Kopf, sodass sein sandfarbenes, kinnlanges Haar zum Vorschein kam. In seinen wachen, hellen Augen blitzte es übermütig.
    Bereits seit einigen Wochen war Sebastian bester Laune. Nicht bloß wegen der Jagd, die im Herbst ihrem Höhepunkt zulief, sondern wegen des farbigen Gewimmels der Stadt, die aufgrund des erwarteten Großereignisses fast aus den Fugen barst. Nach den entbehrungsreichen Jahren der Fehde, die wie ein Fluch über der Stadt gelegen hatte, erschien ihm der bevorstehende Besuch von Papst Eugen als ein wahrhaftiger Segen. Mit seinen Kardinälen und zahllosen Würdenträgern befand sich Eugen bereits auf dem Weg. Ein nicht enden wollender Ansturm ehrgeiziger Kleriker und Adliger, die den historischen Moment hautnah miterleben wollten, war dadurch entstanden. Kein Wunder. Sobald die Stadt ins Zentrum des Abendlandes rücken und für einige Monate die Augen der gesamten Christenheit auf sich ziehen würde, versprachen sich nicht wenige einen beträchtlichen Vorteil davon, sich hier aufzuhalten – sei es aus Frömmigkeit oder weltlichem Pragmatismus. Daher verdichtete sich mit jedem Tag der Strom von Pilgern, die aus den entlegensten Orten des Reiches kamen. Händler, die das Geschäft ihres Lebens witterten, sowie Gaukler und Spielleute folgten ihnen auf dem Fuße.
    Mit einem Kopfnicken bedeutete Sebastian dem heranspringenden Knecht, er möge die Pferde besorgen. »Und du, mein Freund, kannst dich jetzt ausruhen«, flüsterte er dem Gerfalken zu, der seine Krallen in den Lederhandschuh eines Jagdhelfers bohrte. Dabei strich er dem perlweißen Vogel, dessen Gefieder an den äußersten Flügelspitzen eine pechschwarze Färbung zeigte, über den Kopf. Noch viele, herrliche Gelegenheiten würde es geben, zu denen das edle Tier seine Fähigkeiten bei der Beizjagd unter Beweis stellen konnte. Jetzt sollte ihm eine Pause gegönnt sein.
    Ungeduldig, mit blitzenden Augen, drehte sich Sebastian zu seinen Freunden um: »Na los, beeilt Euch, bevor mein Vater uns sieht.« Daraufhin warf er seine Stirn wieder in Furchen und jammerte mit spöttisch verzerrter Stimme: »Als ich damals in deinem Alter war, hatte ich keinerlei Sinn dafür, meinen Tag mit der Jägerei zu vertun. Und auch sonst enthielt ich mich jeden Vergnügens. Längst nahm ich meinen Platz am Hofe des Königs ein und trug Verantwortung, jawohl, Verantwortung!«
    Welche Gesichter seine Freunde zogen. Mit ihnen hatte es weiß Gott schon lustigere Zeiten gegeben. Erst einen, dann den anderen packte Sebastian bei den Schultern, um sie nacheinander zu schütteln. Langsam wich das Lächeln aus seinen Mundwinkeln. Was war los? Keiner der beiden Burschen erwiderte seinen Blick. Stattdessen starrte der eine auf seinen rechten Fuß, mit dem er in solchem Eifer im Staub umherscharrte, dass man meinen konnte, er würde mit Gold dafür entlohnt, während der andere an Sebastian vorbeiglotzte – mit regloser Miene, als ob ihm der Teufel persönlich erschienen wäre. Nach einer Pause verwirrten Schweigens erlosch das Glänzen in Sebastians Augen. Während er sich, von einer dunklen Ahnung erfüllt, langsam umdrehte, vernahm er eine mehr als vertraute Stimme: »Genauso ist es, mit zwanzig trug ich Verantwortung – und wie mir in diesem Augenblick klar wird, werde ich Gleiches künftig noch stärker von dir verlangen als bisher.
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