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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Claudia Schulligen
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Stattdessen zog sie vorsichtig, die Briefe – oder vielmehr das, was von ihnen übrig war – auseinander. Sie erkannte den Namenszug der Äbtissin, den Heloïse in wohlbekannter Schrift unter die letzten drei Sätze eines nun für immer verlorenen Briefes gesetzt hatte.
    »Was hatte denn Burkhard mit dem Briefwechsel von Abaelardus und Heloïse zu schaffen?«
    »Keine Ahnung«, entgegnete Laetitia und wandte sich zu Karolina um. »Ich kann mir auch nicht erklären, was für einen Kaufmann wie ihn so spannend an Abaelardus’ Korrespondenz war.«
    »Wie kam sie überhaupt in seine Hände?«, wunderte sich Karolina.
    »Er hat sie vom Archivar des Priorats Saint-Marcel in Chalon-sur-Saône erhalten.«
    »Dort, wo Abaelardus seine letzten Lebensmonate verbrachte?«
    »Ja, Burkhard hat dort mit zwei Dienern vorgesprochen und sich nach Briefen aus dem Nachlass von Abaelardus erkundigt.«
    »Und woher wisst Ihr das alles?«
    »Heloïse und ich klopften vor einigen Wochen aus genau dem gleichen Grund an die Pforte des Priorats und erfuhren davon.«
    »Und der Archivar hat ihm dann das Bündel Briefe einfach so ausgehändigt?«
    »Burkhard deutete wohl an, dass er sich gegenüber dem Priorat als großzügig erweisen wollte … «, erklärte Laetitia, das Verhalten des Archivars schulterzuckend kommentierend. Sie wandte sich erneut zu dem Pult um. Als ihr Blick über das nächste Schriftfragment glitt, stockte sie. Die Buchstaben wirkten breit und eckig, geradezu schroff hoben sie sich von der filigranen Schrift des ersten Briefes ab. Unruhig flogen Laetitias Augen über die anderen Papiere: Aber natürlich, wieso war ihr der Gedanke nicht früher gekommen? Nicht alle Briefe, die der Mörder Burkhard entrissen hatte, stammten zwingend aus der Feder von Heloïse. Sie fuhr herum. »Die Briefe weisen ein unterschiedliches Schriftbild auf. Dadurch, dass ich nur auf Heloïses Briefe fokussiert war, habe ich erst gar nicht so weit gedacht. Dabei pflegte ein geistig hochstehender Mann wie Petrus Abaelardus natürlich regen Gedankenaustausch mit anderen klugen Menschen! Die Briefe sind gar nicht alle von Heloïse, sondern gewiss von anderen Gelehrten!«, rief sie aus, während Karolina neugierig an ihre Seite trat, um sich die Fragmente anzusehen.
    »Nicht von irgendwelchen Gelehrten«, fügte sie Laetitias Worten hinzu, wobei ihre Stimme besorgt klang. »Vermutlich waren es Männer, die Petrus’ Ansichten teilten und daher genauso als von der Kirchenlehre Abtrünnige galten wie Abaelardus. Vielleicht ging es in den Briefen um ketzerisches Gedankengut?«
    Laetitia erschrak. »Häretische Briefe?«, wisperte sie. Fast tonlos kamen die Worte, die zu ungeheuerlich waren, um sie laut auszusprechen, über ihre Lippen. Fahrig griff sie nach dem Wasserkrug, goss sich einen Becher ein und tat einen langen Zug.
    Als schürte diese Vermutung nicht bereits genügend Ängste, vollendete Karolina ihre Gedanken: »Wir wollen nicht vergessen, dass man Petrus Abaelardus wegen Häresie verurteilte und seine Schriften in Rom verbrannte. Vielleicht besitzt er im Geheimen Anhänger, die sein Werk jetzt nach seinem Tod schützen wollen?«
    Die Papierfetzen zerschmolzen vor Laetitias Blick, während in ihrer Erinnerung Bilder von Heloïses’ Verzweiflung aufstiegen, als der Papst vor sechs Jahren seinen Urteilsspruch verkündet hatte – unerbittlich, erbarmungslos. Mit einem lebenslangen Schreibverbot hatte er Petrus Abaelardus belegt und jedem mit Exkommunikation gedroht, der seine Werke las. Gemeinsam mit ihm hatte das Urteil all diejenigen in den Abgrund gerissen, die sich zu Abaelardus’ Lehre bekannt hatten. Abaelardus hatte sich nie von der Demütigung erholt und die letzten Monate vor seinem Tod in Bitternis verbracht. Unruhig, aber forschend blickte Laetitia Karolina ins Gesicht. Ihr mutete seltsam an, dass der Bibliothekarin nicht noch eine andere Deutung der Geschehnisse einfiel, eine, die ihr persönlich viel plausibler schien. Dabei dachte sie an das seltsame Buch in grünem Einband, das sie im Schreibsaal entdeckt hatte und das den Verdacht aufwarf, sogar Karolina halte sich nicht immer folgsam an die Lehre der Kirche.
    Wenn Trier bald in den Fokus der gesamten Christenheit rückte, da der Hof des Papstes Einzug hielt, würde es manch einem übel aufstoßen, in einem Atemzug mit einem in Ungnade Gefallenen wie Petrus Abaelardus genannt zu werden. Das glänzendste Avancement konnte im Nu zu Staub zerfallen, wenn die Verbindung zu einem
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