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Der Ball von Sceaux (German Edition)

Der Ball von Sceaux (German Edition)

Titel: Der Ball von Sceaux (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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in den Park und lenkte ihre Schritte nach einem verschwiegenen Boskett, wo sie der sehnsüchtige junge Mann, wie sie wußte, aufsuchen würde; während sie hinging, überlegte sie, wie sie dieses wichtige Geheimnis, ohne sich bloßzustellen, herausbekommen sollte; ein recht schwieriges Unternehmen! Bisher hatte noch kein offenes Geständnis die Neigung, die sie mit dem Unbekannten verband, offenbart. Sie, wie Maximilian, beide hatten die Süße der ersten Liebe genossen, aber da beide gleich stolz waren, schien jeder sich vor dem Geständnis, daß er liebe, zu scheuen.
    Maximilian Longueville, dem Klara hinreichend begründete Bedenken über Emilies Charakter eingeflößt hatte, wurde abwechselnd bald von der Heftigkeit der Leidenschaft eines jungen Mannes hingerissen, bald von dem Verlangen zurückgehalten, die Frau, deren Händen er sein Lebensglück anvertrauen wollte, genau kennenzulernen und zu prüfen. Seine Liebe hatte ihn nicht gehindert, bei Emilie die Vorurteile wahrzunehmen, die dieses junge Wesen verunzierten; aber er wollte wissen, ob er geliebt würde, bevor er gegen sie ankämpfte; er wollte sein Liebesglück ebensowenig aufs Spiel setzen wie sein Lebensglück. Er hatte daher beständig Schweigen bewahrt, wenn auch seine Blicke, seine Haltung und das Geringste, was er tat, es Lügen straften. Auf der andern Seite hinderte der natürliche Stolz eines jungen Mädchens, der bei Fräulein von Fontaine noch durch die törichte Eitelkeit auf ihre vornehme Geburt und ihre Schönheit gesteigert war, diese, eine Erklärung herauszufordern, wozu ihre wachsende Leidenschaft sie manchmal drängen wollte. So hatten die beiden Liebenden instinktiv ihre Situation verstanden, ohne sich über ihre geheimen Beweggründe klarzuwerden. Es gibt im Leben Augenblicke, da jungen Seelen das Ungewisse lieb ist. Gerade weil jeder schon allzulange mit der Aussprache gezögert hatte, schienen sich alle beide ein grausames Vergnügen mit ihrem Abwarten zu machen. Der eine suchte zu erforschen, ob er wirklich bis zur Überwindung, die ein Geständnis seine stolze Geliebte kosten würde, geliebt werde, die andere hoffte jeden Augenblick, daß das allzu zurückhaltende Schweigen gebrochen werden würde.
    Auf einer Gartenbank sitzend, überdachte Emilie alles, was sich während dieser herrlichen drei Monate ereignet hatte. Der Verdacht ihres Vaters war das letzte Bedenken, das sie noch hindern konnte, und sie machte etliche Gegengründe dagegen geltend, wie solche einem jungen unerfahrenen Mädchen durchschlagend erschienen. Vor allem war sie mit sich einig darüber, daß sie sich unmöglich täuschen könne. Während der ganzen Saison hatte sie bei Maximilian keine einzige Geste, kein einziges Wort bemerken können, die eine niedrige Herkunft oder einen gewöhnlichen Beruf verrieten; im Gegenteil, seine Art zu diskutieren ließ einen Mann erkennen, der sich mit hohen Staatsangelegenheiten beschäftigte. »Übrigens hätte ein Bureaumensch,« sagte sie sich, »ein Finanzier oder ein Kaufmann nicht die Muße gehabt, hier eine ganze Saison hindurch zu verweilen, um mir auf dem Lande den Hof zu machen und so frei über seine Zeit zu verfügen wie ein Edelmann, der ein ganzes sorgloses Leben vor sich hat.« Dann überließ sie sich andern Gedanken, die ihr viel interessanter waren, als die früheren; da verriet ihr ein leichtes Rauschen der Blätter, daß Maximilian sie schon eine Zeitlang, gewiß mit Sehnsucht, beobachtete.
    »Wissen Sie, daß das sehr schlecht ist, ein junges Mädchen so zu überraschen?« sagte sie lächelnd.
    »Besonders wenn es mit seinen Geheimnissen beschäftigt ist«, erwiderte Maximilian listig.
    »Warum sollte ich keine Geheimnisse haben? Sie haben ja sicher auch welche.«
    »Dachten Sie wirklich über Ihre Geheimnisse nach?« entgegnete er lachend.
    »Nein, ich dachte an die Ihrigen. Meine kenne ich.«
    »Aber,« rief der junge Mann zärtlich aus und bot Fräulein von Fontaine den Arm, »vielleicht sind meine Geheimnisse die Ihrigen und Ihre die meinen.«
    Nach einigen Schritten befanden sie sich unter einer Baumgruppe, die die Farben der untergehenden Sonne wie mit einer rötlichbraunen Wolke umhüllten. Diese wunderbare Naturerscheinung verlieh dem Momente eine gewisse Feierlichkeit. Die lebhafte freie Bewegung des jungen Mannes und vor allem der Aufruhr seines pochenden Herzens, dessen hastige Schläge zu Emiliens Arm redeten, versetzten sie in eine um so tiefergehende Erregung, als diese durch die
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