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Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer

Titel: Der alte Mann und das Meer
Autoren: Ernest Hemingway
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herüberlotsen. Zieht, Hände, dachte er. Steht mir bei, Beine. Halt durch, Kopf. Halt durch. Du hast mich nie im Stich gelassen. Dieses Mal werd ich ihn rumkriegen.
    Aber als er eine Riesenanstrengung machte – er begann damit, lange bevor der Fisch längsseits kam – und mit allen Kräften zog, legte sich der Fisch etwas seitwärts und richtete sich dann auf und schwamm davon. »Fisch«, sagte der alte Mann. »Fisch, du mußt sowieso sterben. Mußt du mich auch töten?«
    Auf diese Art ist gar nichts gewonnen, dachte er. Sein Mund war zu trocken, um zu sprechen, aber er konnte jetzt nicht nach der Wasserflasche langen. – Diesmal muß ich ihn längsseits kriegen, dachte er. Viele Wendungen kann ich nicht mehr aushaken. Doch, du kannst, sagte er zu sich. Du kannst ewig aushaken.
    Bei der nächsten Wendung hatte er ihn beinah. Aber wieder richtete sich der Fisch auf und schwamm langsam davon.
    Du tötest mich, Fisch, dachte der alte Mann. Aber dazu bist du berechtigt.
    Niemals habe ich etwas Größeres oder Schöneres oder Ruhigeres oder Edleres gesehen als dich, Bruder. Komm nur und töte mich. Mir ist es gleich, wer wen tötet.
    Jetzt wirst du wirr im Kopf, dachte er. Du mußt einen klaren Kopf behalten.
    Behalt einen klaren Kopf und sieh zu, daß du es wie ein Mann erträgst. Oder wie ein Fisch, dachte er.
    »Komm klar, Kopf«, sagte er mit einer Stimme, die er kaum hören konnte.
    »Komm klar, Kopf.«
    Noch zweimal geschah dasselbe bei den Wendungen. Ich versteh es nicht, dachte der alte Mann. Ihm war jedesmal beinah schwarz vor den Augen geworden. – Ich versteh es nicht. Aber ich werd es noch einmal versuchen.
    Er versuchte es noch einmal, und er fühlte, wie ihm schwarz vor Augen wurde, als er den Fisch herüberzwang. Der Fisch richtete sich auf und schwamm, den großen Schwanz durch die Luft schwenkend, langsam wieder davon.
    Ich versuche es noch einmal, sprach sich der alte Mann Mut zu, obwohl seine Hände jetzt zermantscht waren und er nur noch ab und zu richtig sehen konnte. Er versuchte es noch einmal, und es war dasselbe. – Also, dachte er, und er fühlte, daß ihm schwindlig wurde, bevor er anfing, ich werde es noch einmal versuchen.
    Er faßte all seinen Schmerz zusammen und was von seiner Kraft übrig war und seinem lang dahingeschwundenen Stolz, und er setzte es gegen den Todeskampf des Fisches, und der Fisch drehte sich auf die Seite und schwamm ruhig auf der Seite, und sein Schnabel berührte beinah die Planken des Boots, und er begann, langsam im Wasser an dem Boot vorbeizuziehen, lang, tief, breit, silbern und violett gestreift und ohne Ende.
    Der alte Mann ließ die Leine fallen und setzte seinen Fuß darauf und hob die Harpune, so hoch wie er konnte, und stieß sie mit aller Kraft und frischer Kraft, die er gerade aufgebracht hatte, in die Seite des Fisches hinein, gerade hinter der großen Brustflosse, die hoch in die Luft bis zur Brusthöhe des Mannes stand. Er fühlte, wie das Eisen hineinging, und er lehnte sich drauf und trieb es weiter, und dann stieß er mit seinem ganzen Gewicht nach.
    Nun wurde der Fisch lebendig, als er den Tod in sich spürte, und sprang hoch aus dem Wasser empor und zeigte seine ungeheure Länge und Breite und seine ganze Macht und Schönheit. Er schien über dem alten Mann in dem Boot in der Luft zu hängen. Dann fiel er krachend ins Wasser, so daß Schaum über den alten Mann und über das ganze Boot spritzte.
    Dem alten Mann war schwindlig und übel, und er konnte nicht recht sehen, aber er entwirrte die Harpunenleine und ließ sie langsam durch seine wunden Hände laufen, und als er sehen konnte, sah er, daß der Fisch mit seinem silbernen Bauch nach oben, auf dem Rücken lag. Der Schaft der Harpune ragte in einem Winkel aus der Schulter des Fisches hervor, und die See verfärbte sich durch das Rot von dem Blut seines Herzens. Zuerst war es dunkel wie eine Untiefe in dem blauen Wasser, das mehr als eine Meile tief war. Dann breitete es sich wie eine Wolke aus. Der Fisch war silbrig und bewegungslos und trieb mit den Wellen.
    Der alte Mann blickte in der flüchtigen Vision, die er hatte, aufmerksam um sich. Dann schlug er die Harpunenleine zweimal um die Beting unter der Flicht und legte den Kopf auf die Hände.
    »Daß nur mein Kopf klar bleibt«, sagte er gegen das Holz des Bugs. »Ich bin ein müder, alter Mann. Aber ich habe diesen Fisch getötet, der mein Bruder ist, und jetzt kommt noch die ganze Plackerei.«
    Jetzt muß ich die Schlingen vorbereiten
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