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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli
Autoren: Christian Ditfurth
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sie waren Verlierer. Carpati aber war gefährlich.
    Werdin ahnte, die Vergangenheit würde zurückkehren. Dem ersten schlechten Traum würde weitere folgen. Der Besuch der beiden CIA-Agenten hatte genügt, seine neue Identität zu zerstören. Werdin war nach einigen Jahren zu Vandenbroke geworden, die Vergangenheit schrumpfte allmählich zu einem dumpfen Gefühl. Sie war Fetzen für Fetzen aus seinen Träumen verschwunden. Werdin merkte den Übergang nicht, eines Tages fühlte er sich als Vandenbroke, und dieses Dasein befriedigte ihn. Er vergaß, warum jeden Monat viertausend Dollar auf sein Konto bei der Bank in Tierra del Sol überwiesen wurden. Es war mehr, als er brauchte, um eine Zisterne zu bauen, Tomaten und Kürbisse zu pflanzen und hin und wieder Bücher zu bestellen in Tom McGuire’s Papierhandlung. Tom hatte sich an den holländischen Kauz gewöhnt, manchmal unterhielten sie sich übers Wetter, das Indianerreservat oder den Staub.
    Werdin erkannte, wie brüchig sein neues Ich war. Ein paar Kleinigkeiten genügten, es zu zerreißen. Er hatte keine halbe Stunde mit Myers und Carpati gesprochen und war wieder Werdin, der Verräter.
    Er ahnte, dass der Inhalt des Umschlags ihm die letzte Illusion rauben würde. Die Vergangenheit zog mit aller Macht an ihm. Die Jahre auf dem Hof waren Selbsttäuschung gewesen.
    Werdin nahm den Umschlag und ging in die Küche. Heinrich hatte es sich auf dem Küchentisch bequem gemacht und würdigte ihn keines Blicks. Werdin setzte sich an den Tisch und schaute aus dem Fenster ins Tal. Dann öffnete er vorsichtig den braunen Umschlag, darin befand sich ein kleineres, schmutzig weißes Kuvert mit dem Stempel Botschaft der Schweizerischen Eidgenossenschaft . Mit blauer Tinte war fein auf die Vorderseite geschrieben: Knut Werdin, Vereinigte Staaten von Nordamerika, kein Absender. Werdin nahm ein Küchenmesser und trennte den Umschlag bedächtig am Falz auf. Mit dem Zeigefinger weitete er den Schlitz. Er erkannte einen Brief und ein Foto. Er zog das Foto mit Daumen und Zeigefinger langsam aus dem Umschlag und legte es auf den Küchentisch. Einen kurzen Augenblick hörte er auf zu atmen. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Das Schwarzweißbild zeigte eine Frau und einen kleinen Jungen, vielleicht neun oder zehn Jahre alt. Es war Irma, kein Zweifel. Als sie sich liebten in einer der letzten Bombennächte in Berlin, trug sie einen Gretchenkranz. Blond und blauäugig, sah sie fast aus wie eine Vorzeigefrau vom Bund Deutscher Mädel. Nur war sie schlanker und das Gesicht nicht bäuerlich breit, sondern schmal und fein geschnitten. Irma war tot, er hatte sie sterben sehen. Wer war die Frau auf dem Bild? Wer war der Junge? Er drehte das Foto um, auf der Rückseite fand sich nur der Stempel des Fotografen:
    Alfred Schmitt, Unter den Linden 67, Berlin.
    Er sah seine Hand zittern, als er den Brief aus dem Umschlag zog. Wenige Zeilen nur, er schaute zuerst auf die Unterschrift: Irma. Das kann nicht sein, dachte Werdin. Das kann nicht sein. Irma war tot. Er las:

    Lieber Knut,
    Du hältst mich wahrscheinlich für tot. Ich habe aber alles überlebt. Vielleicht verdanke ich es auch Josef. Du sollst wissen, dass wir einen Sohn haben. Ich würde Dich gerne wieder sehen. Vielleicht ändern sich ja die Zeiten, und wir können reisen, wohin wir wollen. Uns geht es sonst ganz gut. Die schlimmsten Zerstörungen des Kriegs sind beseitigt. Ich hoffe, Du bekommst diesen Brief. Ich werde ihn in den Briefkasten der Schweizer Botschaft werfen.
    Deine
    Irma

    In Werdins Kopf pochte das Blut. Erstarrt saß er auf dem Stuhl. Sein Magen zog sich zusammen. Er hörte die Schüsse vom Ufer, die Schreie und sah, wie Taschenlampen hektisch ihren Schein übers Wasser warfen. Er sah Irma im schwarzbraunen Wasser des Rheins verschwinden. Er starrte lange auf das Bild. Eine Schönheit mit offenen Haaren, ihr Blick schien ihn zu fragen, ob er zurückkäme. Werdin wusste, innere Bilder schliffen sich ab in der Erinnerung, aber was er sah, war Irma. Kein Zweifel war möglich. Sein Blick wanderte zu dem Jungen an Irmas Hand. Vielleicht bildete er es sich ein, der Junge war ihm ähnlich, leicht ausgeprägtes Kinn, schlank, mit einem Anflug von Trotz oder Entschlossenheit im Gesicht. Aber war es sein Sohn?
    Er nahm eine Flasche Tequila aus dem Küchenschrank und goss ein Wasserglas halb voll. Werdin leerte das Glas mit einem Schluck. Er hatte lange nichts mehr getrunken, weil er gemerkt hatte, dass er anfällig
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