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Den Tod im Griffl - Numbers 3

Den Tod im Griffl - Numbers 3

Titel: Den Tod im Griffl - Numbers 3
Autoren: Rachel Ward
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die Richtung des Lärms.
    »Es wird bald vorbei sein«, antwortet er. Er schließt kurz die Augen und ich weiß, was er denkt. Bitte hör endlich auf. Mach, dass es aufhört.
    Doch ein paar Minuten später ist die Stille fast schlimmer als die Schreie. Sie liegt schwer in der Nebelluft, klebt an den Ästen über unseren Köpfen, den nassen Blättern am Boden.
    Und ich weiß ohne jeden Zweifel: Am Ende konnte Saul seiner Zahl nicht entkommen.
    Sie ist zu ihm zurückgekehrt.
    Mia hat sie ihm zurückgegeben.
    Eine Zeit lang ist das einzige Geräusch das Rascheln der Ratten. Adam hält sie ab – stampft umher, tritt nach ihnen und fegt mit dem Ast über den Boden. Dann hören wir über uns das Schwirren einer Drohne. Wir sitzen wie auf dem Präsentierteller, zumindest Mia und Adam mit ihrem verräterischen Chip unter der Haut. Doch es sind nicht Soldaten in Uniform, die wir aus dem Nebel kommen sehen – es sind normale Leute, bewaffnet mit Holzstücken oder Teilen von Mauerbrüstungen oder gar unbewaffnet. Ihre Auren vermischen sich zu einem Regenbogenschleier. Sie schillern.
    Als wir sie sehen, zückt Adam zunächst Sauls Revolver, doch dann steckt er sie wieder ein. Es ist eine ganze Horde, Frauen und Männer.
    Der Mann, der vorneweg geht, hat keine Waffe und seine blassblauen Augen leuchten auf, als er uns vier entdeckt. Auch ihn umgibt die Farbe Blau. Sie verschafft mir Ruhe und Vertrauen, noch ehe er ein Wort gesprochen hat.
    »Du hast sie also gefunden«, sagt er zu Adam.
    »Ja«, antwortet Adam. »Das sind Sarah und Mia. Und das ist unsere Tochter.«
    Der Mann geht in die Hocke.
    »Ich bin Simon«, sagt er zu mir. »Wenn du gehen kannst, würde ich dich gern zu der Kathedrale zurückbringen. Wir haben zu essen und eine Unterkunft. Dort ist es sicherer für euch alle.«
    Eine der Frauen tritt vor. Sie hat Baumwolllaken und saubere Kleidung dabei und eine beruhigende grüne Erscheinung. Sie sagt mir, dass sie Alona heißt und Hebamme ist, dann drängt sie die andern einschließlich Simon zurück. Sie hilft mir, mich sauber zu machen, wickelt Verbandszeug um meine zerschnittenen Hände, wischt Blut und Dreck von meinem Baby, dann wickelt sie es fest in ein Laken, dass nur noch das kleine Gesicht herausschaut. Ich winke Alona näher heran.
    »Das Baby«, sage ich, »es hat keine …« Ich schaue zu Adam. Er kümmert sich um Mia und spricht mit Simon. »Sie hat keine Augen.« Alona runzelt die Stirn. »Hast du so was schon mal gesehen?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein, aber ich habe von solchen Fällen gehört. Es ist eine genetische Sache, aber das Kind kann ansonsten völlig gesund sein.« Sie legt mir ihre Hand auf die Schulter. »Alles ist völlig in Ordnung. Sie ist ein sehr hübsches Mädchen.« Und das ist sie wirklich. Ihr Gesicht sieht aus wie ein Apfel. Ihr silberweißes Licht verschlägt mir fast den Atem.
    Alona hilft mir auf. Ich bin wacklig auf den Beinen, doch ich schaffe es, langsam zu gehen. Ich trage das Baby, und Adam trägt Mia. Aus der Nähe betrachtet, ist Mias Aura mit merkwürdig dunklen Punkten gesprenkelt, Brandmalen in ihrer goldenen Flamme.
    Als wir uns dem Tor nähern, kommt Adam auf die andere Seite und legt den Arm um mich.
    »Schau nicht hin«, sagt er, aber es ist bereits zu spät. Ich habe schon die Massen von Ratten gesehen, das zerfetzte Fleisch und die nackten Knochen, die alles sind, was von Saul übrig ist.
    Wir verlassen den Friedhof auf dem gleichen Weg, den wir gekommen sind, und treten auf die Straße mit dem Kopfsteinpflaster. Während wir gehen, erinnere ich mich an das Meer aus Dreck vor der Kathedrale. Alle sind so freundlich, ich weiß gar nicht, wie ich ihnen sagen soll, dass ich dort nicht kampieren will, doch als wir auf den Platz vor der Kathedrale einbiegen, sehe ich weder Schmutz noch Müll. Ich sehe Menschen in ihrer reichhaltigen farbigen Vielfalt. Meine Lebensgeister erwachen. Meine Augen haben sich der Welt geöffnet – ich habe das Gefühl, die Welt so zu sehen, wie man sie sehen sollte.
    Wir werden in die Kirche geleitet. Als wir durch den dicht mit Menschen besetzten Eingang treten, bricht in der Menge draußen Applaus los. Er wird immer lauter. Kein Jubel, kein Schreien oder Grölen, nur Hunderte Hände, die klatschen.
    »Was soll das?«, frage ich.
    »Er ist für uns«, sagt Adam. Er lächelt. Er dreht sich kurz um und winkt der Menge. Dann gehen wir hinein. Wir sind nicht die Einzigen hier. Es ist fast wie ein Krankenhaus – die Kirche ist voll
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