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Das silberne Zeichen (German Edition)

Das silberne Zeichen (German Edition)

Titel: Das silberne Zeichen (German Edition)
Autoren: Petra Schier
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dem Kindchen stammen konnte. Ein ungeahntes Glücksgefühl überkam sie, und sie hatte große Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
    Doch Hartwig hatte scharfe Augen. «Was ist mit dir, Cousine? Deine Wangen haben sich gerötet. Bist du etwa krank? Das fehlte uns gerade noch. Aber wahrscheinlich isst du nicht genug, wie? Ich hab ja schon immer gesagt, dass du viel zu dünn bist. Ein Mann will neben sich im Bett keinen spillerigen Knochenhaufen, sondern etwas zum Anfassen. Dabei hatte ich den Eindruck, dass du in den letzten Wochen endlich ein bisschen was auf die Rippen bekommen hast.»
    «Ich bin nicht krank, Hartwig. Wenn mir auch deine Gegenwart zuweilen Kopfschmerz verursacht», entgegnete Marysa und bemühte sich um Fassung.
    «Bist du sicher?», knurrte er.
    Marysa nickte. «Ganz sicher. Und nun verrate mir, warum du überhaupt hier bist. Ich nehme nicht an, dass du den Weg hierher nur gemacht hast, um mir mit der ewig gleichen Leier in den Ohren zu liegen.»
    «Unverschämtes Weib», grollte Hartwig. «Du solltest dankbar sein, dass man sich um dich kümmert.»
    «Das kann ich, wie du weißt, sehr gut selbst.»
    «Hmpf. Ich soll dir eine Einladung überbringen. Komm am Samstagabend nach der Vesper ins Zunfthaus. Dann wird die Wahl des neuen obersten Zunftgreven stattfinden.»
    «Am Samstag? Ist das nicht ein bisschen kurzfristig?», wunderte Marysa sich.
    Hartwig zuckte mit den Schultern. «Wozu noch lange warten? Zweimal musste die Wahl schon verschoben werden, zuletzt wegen der Einweihung der Chorhalle. Nun konnten wir uns endlich auf ein Datum einigen, also sieh zu, dass du anwesend bist.»
    «Selbstverständlich werde ich da sein, obgleich ich als Meisterwitwe kein Stimmrecht habe. Wenn die Wahl zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden würde, könnte mein Gemahl sich beteiligen.»
    «Darauf können wir keine Rücksicht nehmen. Auf seine Stimme bin ich auch nicht angewiesen. Du weißt, dass ich die besten Aussichten auf das Amt habe.»
    «Es sei dir gegönnt. Und jetzt lass mich bitte allein.»
    «Wir sprechen uns noch.» Hartwig drehte sich um und marschierte hinaus.
    Gerade als er die Werkstatt durchquert hatte, klopfte es erneut an der Haustür. Ehe Grimold reagieren konnte, hatte Hartwig bereits die Tür geöffnet und trat überrascht einen Schritt zur Seite, als er den Besucher erkannte. «Herr van Oenne, guten Morgen. Was führt Euch hierher?»
    «Meister Schrenger, seid gegrüßt.» Der schwarzgewandete Domherr aus dem Marienstift trat mit einem knappen Nicken ein. «Ich habe etwas mit Frau Marysa … Ah, da seid Ihr ja!» Als er Marysa erblickte, die beim Klang seiner Stimme rasch aus dem Kontor geeilt war, glitt ein Lächeln über seine Lippen. «Ich wünsche Euch einen guten Morgen, Frau Marysa, und hoffe, es geht Euch wohl?»
    «Ausgezeichnet, Herr van Oenne. Kommt nur herein und setzt Euch. Kann ich Euch etwas anbieten, heißen Würzwein vielleicht?» Während sie den Domherrn in ihr Kontor geleitete, warf sie ihrem Vetter über die Schulter einen auffordernden Blick zu, woraufhin er mit einem verärgerten Schnauben das Haus verließ.
    «Danke, Frau Marysa, das ist nicht nötig. Ich komme praktisch schnurstracks aus unserem Refektorium, durfte also Speis und Trank bis eben zur Genüge genießen.»
    «Also gut, wie Ihr meint.» Marysa setzte sich ihm gegenüber und faltete die Hände auf dem Pult. «Dann sagt mir, was mir die Ehre Eures Besuchs verschafft.»
    Rochus van Oenne lehnte sich bequem auf dem Besucherstuhl zurück. Er war ein Mann jenseits der fünfzig mit einnehmenden Gesichtszügen, dichtem grauem Haar und einem Kinnbart. In seiner Jugend hatte er gewiss mehr als ein weibliches Auge entzückt, und auch heute noch wusste er sich in der Gesellschaft von Frauen durchaus angenehm zu machen. Seine Erscheinung, gepaart mit ausgezeichneten Manieren, standen in deutlichem Gegensatz zur Wesensart jenes Mannes, dessen Posten er vor einigen Monaten übernommen hatte. Nachdem Johann Scheiffart, der Stellvertreter des Dechanten, im vergangenen November unter grausamen Umständen ums Leben gekommen war, war Rochus van Oenne auf seinen Platz aufgerückt.
    Auch wenn Marysa nach anfänglichen Schwierigkeiten recht gut mit Scheiffart ausgekommen war, musste sie zugeben, dass die Geschäfte, die sie mit dem Marienstift tätigte, sich inzwischen wesentlich angenehmer gestalteten. Van Oenne war nicht so herrisch wie Scheiffart und vermittelte ihr immer den Eindruck väterlicher Fürsorge. Während
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