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Das silberne Schiff - [Roman]

Das silberne Schiff - [Roman]

Titel: Das silberne Schiff - [Roman]
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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spät.«

Kapitel 3
    Ein Ausflug

    Als Kayleen die Worte »Zu spät« aussprach, war mir klar, was sie beabsichtigte. Trotz dieses Wissens war mir die Kehle vor Ungläubigkeit zusammengeschnürt.
    Liams Gesicht nahm einen Ausdruck an, den ich noch nie an ihm gesehen hatte. Wut spannte seine Haut an und schien seine Muskeln zu verknoten. Seine dunklen Augen wurden fast schwarz. Er trat auf Kayleen zu, beugte sich über sie und wirkte fremdartig und furchteinflößend und ganz anders als sonst. Wenn Liam nicht Akashis Sohn gewesen wäre, hätte ich damit gerechnet, dass er sie schlug, so stark war der Zorn, der von ihm ausging.
    Kayleen lächelte weiter, ohne den Blick von Liam abzuwenden. Ihr Körper blieb völlig ruhig, ohne zu provozieren, ohne sich zurückzuziehen. Sie verharrten drei Atemzüge lang in dieser Position, ohne sich zu rühren.
    Wir töteten Tiere, wenn wir jagten, aber wir beschützten uns gegenseitig.
    Das Gebrababy Brise trötete und versuchte zurückzuweichen. Doch hinter ihr war nur noch eine glatte silbrige Wand. Ihre gespaltenen Hufe scharrten und schlitterten über den Boden. Sie warf den Kopf auf dem langen Hals vor und zurück wie einen Lappen.
    Liam trat einen Schritt zurück.
    Kayleen sprang auf, schwang sich mit einem Arm über die letzte Sitzreihe und landete genau neben dem blökenden Gebra. Sie hielt die flache Hand vor Brises Nase. Leise, beruhigende Laute drangen aus Kayleens Kehle. Ihre Körpersprache nahm die unnachgiebige Autorität eines Trainers an, gemäßigt durch eine sanfte Stimmlage. Brise trötete erneut und bekam schließlich die gespreizten Beine wieder unter Kontrolle, bis sie zitternd, aber ruhig dastand.
    Eine längere Stille folgte, in der wir alle atmeten, aber niemand sprach. Die Kabine fühlte sich klein und eng an. In der Luft hing eine stinkende Mischung aus Furcht, Wut und einem verstörten Gebra.
    Brise senkte langsam den Kopf und kuschelte sich an Kayleens Brust. Kayleen hob die rechte Hand und streichelte das Gesicht des Gebras. Brise schloss die Augen und stöhnte wie ein junges Fohlen an den Zitzen der Mutter.
    Ich sah Liam an. Sein Gesichtsausdruck war so fassungslos, dass ich trotz der angespannten Situation fast laut gelacht hätte. Doch dann wurde mir klar, dass Liam kaum Erfahrung mit Kayleens launenhaftem Wesen hatte.
    Ich schon. Aber kannte ich diese Kayleen wirklich?
    »Kayleen«, sagte ich leise und benutzte den gleichen Tonfall, mit dem sie das Gebra beruhigt hatte.
    Sie sah mich mit unergründlichen Augen an.
    »Kayleen. Das kannst du nicht tun.«
    Sie zog nur eine Augenbraue hoch.
    »Die Sippe braucht uns«, meldete sich Liam zu Wort. »Sie zieht zum Zornberg. Dort ist es sehr gefährlich. Man braucht uns für die Jagd.«
    Es waren die falschen Worte, weil es um uns und nicht um Kayleen ging.
    Sie blieb neben Brise stehen, den Kopf des Gebras in den Armen, mit beruhigenden Bewegungen, die auch ihre Stimme sanft klingen ließen. »Aber vielleicht brauche ich euch. Vielleicht werde ich verrückt, wenn ich noch ein weiteres Jahr in der Stadt bleiben muss. Ich habe jetzt freien Zugang zu den Geschichten der Netze, jederzeit, selbst in meinen Träumen. Ich kann alles sehen, alles hören. Ich habe euch den ganzen letzten Winter über beobachtet, genauso wie den ganzen Sommer davor.« Sie suchte in meinem Gesicht nach einer Reaktion.
    Ich bemühte mich, ihr nichts von meinen Gefühlen zu zeigen. Ich wollte ruhig bleiben und Ruhe ausstrahlen. Sie hatte uns beobachtet? Warum sagte sie es uns? Hatte sie gesehen, wie Liam und ich uns geküsst hatten, wie wir gejagt hatten, wie Sasha und ich Tiger trainiert hatten? Hatte sie gesehen, wie wir für die Tänze geübt hatten?
    Was hatte sie gedacht, als sie all das gesehen hatte?
    Sie runzelte die Stirn, als ich keine Antwort gab. Sie sprach weiter, und ihre Stimme wurde intensiver. »Ich habe versucht, durch euch zu leben. Ich habe mir vorgestellt, ich wäre es, die lacht und tanzt und ungehindert herumrennt. Aber es war zu schwer, während alle in Artistos mich wie ein Stück Dreck behandelten. Alle blicken entweder verächtlich auf mich herab oder fürchten sich vor mir.« Sie fuhr sich mit den langen Fingern der freien Hand durchs Haar und bündelte es – ein auffälliger Gegensatz zur Hand, die das Gebra streichelte. »Es gibt Gerüchte, dass ich genauso verrückt werde wie Alicia und die Stadt bedrohe. Es gibt Witze, dass ich ihre Babys in der Nacht hole, wenn sie sich nicht anständig benehmen. Das
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