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Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Titel: Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Autoren: Marcus Reichard
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waren die letzten Ausläufer des Orkans, der die kleine Insel Gondun vor zwei Tagen heimgesucht hatte.
    »Runenkunde und Zaubersprüche – so ein Unsinn«, murmelte Tenan. Missmutig stapfte er durch die Pfützen des schlammigen Weges und zog die Kapuze tiefer ins Gesicht. Ein gutes Wetter für die Comori, ohne Zweifel. Die Geschäfte der Wasserzauberer liefen gut. Aber was kümmerte das Tenan? Er empfand es als unter seiner Würde, mit Zaubersprüchen die nassen Kleider anderer Leute zu trocknen. Doch damit verdienten die Comori nun mal ihren Lebensunterhalt. Und er, Tenan, studierte bei einem der Comori die geheime Wissenschaft der Zauberei. Er musste tun, was sein Meister von ihm verlangte. Dazu gehörte auch der Unterricht in der Kunst der Kleinen Magie. Wenn der Meister rief, musste er folgen.
    So wie jetzt.
    Er hatte die windschiefe Hütte erreicht.
    Der Türstock war so niedrig, dass Tenan gebückt durch den Eingang schlüpfen musste. Es kam ihm vor, als beugte er den Kopf unter dem Joch eines vorbestimmten Schicksals. Er trat in die kleine Stube, die ihm so beengt wie sein Leben erschien.
    Tenan war großgewachsen. Er trug die dichten dunklen Haare halblang, wie es Sitte war; sie wurden von einem dünnen, ledernen Stirnband gehalten. Seine wachen Augen leuchteten im flackernden Licht der Kerzen in einem leicht silbernenGlanz. Unter dem weiten Mantel trug er ein grobes Leinenhemd von hellbrauner Farbe. Es wurde von einem breiten Gürtel gehalten, an dem ein kurzes Weidmesser und ein Beutel, gefüllt mit Gilbenkraut, hingen. Die eng anliegenden Hosen steckten in Hirschlederstiefeln, auf die Tenan besonders stolz war: Es war sein erster Hirsch gewesen, den er auf der Jagd erlegt hatte. Amris, sein bester Freund, hatte die Schuhe aus der Haut des Tieres gefertigt. Nur wenige Dorfbewohner konnten sich so eine Kostbarkeit leisten.
    Doch im Moment war Tenan derart schlecht gelaunt, dass er sich daran nicht freuen konnte.
    Osyn, sein Meister, erwartete ihn zur nächsten Lektion des Studiums der geheimen Wissenschaften. Und das bedeutete meistens endloses Auswendiglernen von Zaubersprüchen, Schreibexerzitien, das Üben der richtigen Haltung des Com, des »Stabes der Kraft«, und andere Dinge, für die Tenan im Augenblick keinen Sinn hatte.
    »Müssen wir heute wirklich wieder anfangen?«, fragte er, und seine Stimme verriet seinen Unwillen. Unruhig nestelte er an seinem Gürtel und sah verstohlen zur Tür. Sein Blick verlor sich suchend in weiten Fernen. Alles an seiner Haltung verriet, dass er lieber an einem anderen Ort gewesen wäre.
    Osyn, sein Meister, ein kleiner, untersetzter Mann mit weißem Haarkranz, zog die Nase kraus. »Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen«, brummte er.
    Tenan verdrehte gequält die Augen und stand mit hängenden Schultern unter den tiefen Deckenbalken.
    »Na los, setz dich hin, damit wir anfangen können«, rief Osyn und wedelte mit dem Zauberstab.
    Der junge Mann schlurfte in eine Ecke des Raums und zwängte sich auf den viel zu kleinen Stuhl am Kopfende einesschweren Eichentischs. Die Tischplatte war mit Kräutern, Pergament rollen, einem rußgeschwärzten Totenkopf und anderen ungewöhnlichen Gegenständen überhäuft. Ein seltsames Gebräu brodelte in einem alten Kupferkessel über dem Kaminfeuer. Es roch stechend. Tenan wollte lieber nicht da rüber nachdenken, woraus der Sud hergestellt worden war. Der alte Comori-Meister benutzte manchmal die schauerlichsten Zutaten, die bei seinem Adepten oft einen Anflug von Ekel auslösten.
    Müde stützte Tenan den Kopf auf eine Hand und griff mit der anderen nach einer kleinen wohlriechenden Suri-Frucht, die in einer Tonschale lag. Gelangweilt biss er hinein und kaute gemächlich, während seine Silberaugen trübe leuchteten.
    »Du wirst mir noch mal die Haare vom Kopf fressen«, murmelte Osyn mit einem Kopfschütteln, während er sich mit der Hand über die Glatze strich und sich zu ihm setzte. »Also, beginnen wir hiermit ...«
    Der Meister rollte verschiedene Pergamentrollen auf dem Tisch aus und rezitierte mit monotoner Stimme: »Die neun Strahlen der rechten Erkenntnis der Magie liegen begründet im rechten Tun und rechter Handlung, welche sich nur zeiget dem, der da hat ein reines Herz ...«
    Während die Lektionen des Comori an ihm vorbeirauschten, schweifte Tenans Blick zu dem kleinen, von Spinnweben verhangenen Nordfenster der Stube. Er suchte den Horizont des Meeres, hinter dem seine Sehnsucht verborgen lag. Hier waren seine
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