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Das Schloss in Frankreich

Das Schloss in Frankreich

Titel: Das Schloss in Frankreich
Autoren: Nora Roberts
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anmerken. An erster Stelle stand meine Kunst, und darauf beharrte ich. Ich war da, um deine Mutter zu malen. Sie gehörte meinem Auftraggeber und dem Schloss. Sie war eine Aristokratin von uraltem Adel. All diese Dinge führte ich mir immer wieder vor Augen. Jonathan Smith, der herumreisende Künstler, hatte kein Recht, sie im Traum zu besitzen, geschweige denn in Wirklichkeit.
    Als ich die ersten Skizzen von ihr anfertigte, glaubte ich manchmal, vor Liebe zu ihr vergehen zu müssen. Ich wollte sie unter irgendeinem Vorwand verlassen, aber ich fand nicht den Mut dazu. Jetzt bin ich froh darüber, dass ich blieb.
    Eines Abends, als ich im Garten spazieren ging, begegnete ich ihr. Ich wollte mich abwenden, um sie nicht zu stören, doch sie hörte meine Schritte, und als sie sich umdrehte, las ich von ihren Augen ab, was ich nie zu träumen gewagt hatte. Sie liebte mich. Am liebsten hätte ich aus lauter Freude darüber aufgeschrien. Aber es gab zu viele Hindernisse: Sie war verlobt und an einen anderen Mann gebunden. Wir hatten kein Recht auf unsere Liebe. Braucht man wirklich ein Recht zur Liebe, Shirley? Viele Menschen würden uns anklagen. Ich wünsche nur, dass du nicht zu ihnen gehörst.
    Nach vielen Gesprächen und Tränen setzten wir uns über Recht und Ehre hinweg und heirateten. Gabrielle bat mich, die Trauung geheim zu halten, bis sie einen Weg gefunden hätte, Jacques und ihrer Mutter die Wahrheit einzugestehen. Ich wollte sie aller Welt verkünden, doch ich gab nach. Sie hatte so viel für mich aufgegeben, dass ich ihr keinen Wunsch abschlagen konnte.
    Während dieser Zeit des Abwartens trat ein noch gewichtigeres Problem auf. Die Gräfin, deine Großmutter, besaß eine Madonna von Raphael. Das Gemälde war das Prachtstück im Salon. Die Gräfin informierte mich, dass das Bild sich bereits seit Generationen im Familienbesitz befand. Sie hing mit ganzer Seele daran, fast wie an Gabrielle. Offenbar symbolisierte es für sie die Beständigkeit ihrer Familie, wie ein Leitstern nach all den Schrecknissen des Kriegs und den persönlichen Verlusten.
    Ich studierte dieses Gemälde sorgfältig und kam zu der Überzeugung, dass es sich um eine Fälschung handelte. Ich sagte aber nichts, denn zunächst dachte ich, dass die Gräfin selbst diese Kopie in Auftrag gegeben hatte, um sich daran zu erfreuen. Die Deutschen hatten ihr den Ehegemahl und das Heim geraubt und somit möglicherweise auch den echten Raphael.
    Als sie sich entschied, das Bild dem Louvre zu übereignen, um seine Schönheit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, starb ich beinahe vor Furcht. Ich hatte diese Frau
lieb gewonnen, schätzte ihren Stolz und ihre Entschlossenheit, ihre Grazie und Würde. Sie glaubte tatsächlich, dass das Gemälde ein Original war, und ich wollte sie nicht verletzen. Ich wusste, wie peinlich es für Gabrielle gewesen wäre, wenn der Skandal aufgedeckt würde, dass das Bild gefälscht war. Die Gräfin hätte dies nie überwunden. Das durfte nicht geschehen. Ich erbot mich, das Gemälde zu reinigen, um es noch eingehender studieren zu können, und kam mir dabei wie ein Verräter vor.
    Ich trug das Bild in mein Turmatelier, und nach intensiver Betrachtung gab es keinen Zweifel mehr daran, dass es sich um eine sehr gut ausgeführte Kopie handelte. Selbst in diesem Augenblick hätte ich nicht gewusst, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich nicht einen Brief gefunden hätte, der hinter dem Rahmen versteckt war.
    Der Brief war ein verzweifeltes Geständnis des ersten Ehegatten der Gräfin über den von ihm begangenen Verrat. Er bekannte, dass er nahezu alle seine Besitztümer und die der Gräfin verloren hatte. Er war hochverschuldet, glaubte aber daran, dass die Deutschen die Alliierten besiegen würden und verkaufte ihnen deshalb den Raphael. Er ließ eine Kopie anfertigen und entwendete das Original ohne Wissen der Gräfin. Er hoffte, dass das Geld ihm über die Wirren des Kriegs hinweghelfen würde, und dass die Deutschen auf Grund dieses Tauschgeschäfts sein Grundstück verschonen würden.
    Zu spät. Er verzweifelte an seiner Tat, versteckte sein Geständnis im Rahmen der Kopie und begab sich noch einmal zu den Männern, mit denen er den Handel abgeschlossen hatte, in der Hoffnung, ihn wieder rückgängig machen zu können.
    Als ich diesen Brief gelesen hatte, kam Gabrielle ins Atelier. Es wäre besser gewesen, die Tür zu verriegeln. Ich konnte meine Bestürzung nicht verbergen, hielt den Brief noch immer in der
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