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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten
Autoren: Wilhelm Teufel
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hätten sengend und brennend schon den
Schwarzwald und den oberen Neckar erreicht. So zog man noch in derselben Nacht
nach Rottenburg a. N. dem Feinde entgegen, aber schon am anderen Morgen
entpuppte sich alles als blinder Alarm.
     
    Diese ganze unruhige Zeit,
deren Geist sich immer ungestümer gebärdete, ließ in Georg Friedrich Müller den
Entschluß reifen, sich einen stilleren Wirkungsort zu suchen, wo er fern der
lauten Welt seinem Beruf nachgehen und im Dienst des Herrn Christus den Ärmsten
der Armen helfen könnte. Von Freunden und Gesinnungsgenossen wurde er darauf
aufmerksam gemacht, daß in dem Dörflein Riet im Oberamt Vaihingen an der
Enz das Gräflich Reischachsche Schloß zum größten Teil leer stehe und leicht in
eine Heil- und Bewahranstalt für Irre umgewandelt werden könne.
    So siedelte Müller im Sommer
des Jahres 1848 dorthin über. Seine Frau Johanna, die der Geburt ihres zwölften
Kindes entgegenging, seine Mutter und seine beiden Schwestern Karoline und
Luise waren seine einzigen Hilfskräfte. Er mietete ein Stockwerk des Schlosses
um dreihundert Gulden jährlich.
    Aber bald zeigte sich, daß der
Plan, eine Anstalt für Geisteskranke ins Leben zu rufen, sich nicht durchführen
ließ, weil damals schon andere solcher Anstalten bestanden und der Zugang in
dem abgelegenen Riet deshalb zu gering war.
    So faßte er im Einverständnis
mit dem Pfarrer und dem Schultheißen in Riet und auf Anraten seiner Freunde,
die das verantwortliche Komitee bilden sollten, den Entschluß, eine Anstalt für
schwachsinnige Kinder ins Leben zu rufen.
    Am 21. Mai 1849 traten die
ersten zwei Kinder ein, und am 30. November desselben Jahres wurde das erste
Jahresfest gefeiert.
    Wenn der praktische Arzt G. F.
Müller später in Schwäbisch Gmünd auf diese Anfangszeit zurückblickte, konnte
er nur kopfschüttelnd sagen: »Es war ein Wunder vor unseren Augen.« Er hat
anschaulich erzählt, wie es damals aussah und wie die Anstalt in ihren ersten
Jahren sich entwickelte.
    »Wir hatten keinen Kreuzer als
Fonds für die Anstalt und waren ganz auf uns selber gestellt. Wir hatten
niemand hinter uns als ein paar Freunde, nicht den Staat und keinen Verein und
am wenigsten die Eltern dieser Kinder, denn die waren meistens selber bettelarm
und im Grund froh, wenn wir ihnen ihre Kinder abnahmen. Was waren das für
Zeiten! Alles hatte Angst vor der Zukunft; jeder dachte nur daran, für eigene,
voraussichtlich eintretende, Notfälle vorzusorgen. Wie hätte man erwarten
können, daß man an das Los unserer armen Kinder dachte?! Wir sind oft
beisammengesessen, meine Frau, meine Schwester und ich, und haben einander
fragend angesehen: Was meinst du, daß aus dieser Anstalt werden soll? Zwei
Monate hat es gedauert, bis man uns den dritten Pflegling brachte — wer dachte
schon an diese Kinder! In der Welt kümmerte man sich um andere Dinge, da kämpfte
man um die Freiheit oder was man so nannte, da war ein Drängen und Treiben um
irdische Güter, so daß jeder andere, höhere Gedanke in den Hintergrund trat und
unsereiner Mühe hatte, nicht ein Spielball, ein Sklave der Menschen zu
werden... Wir wagten es im Vertrauen auf Gott und auf seine großen, nie
wankenden Verheißungen sowie auf seinen Befehl zu wirken, solange es Tag ist.
Am 30. November desselben Jahres hielten wir unser erstes Jahresfest und hatten
im ganzen zwölf Pfleglinge: acht Knaben und vier Mädchen.
    Aus was für einem Elend kamen
sie! Ich erinnere mich eines zehnjährigen Buben, der nicht wußte, was er mit
seinen Füßen anfangen sollte, als er in die Anstalt kam. Stunden, ja, halbe Tage
lang blieb er auf einer Stelle stehen, ohne sich zu rühren; selbst das Essen,
das ihm sonst sehr wichtig war, vermochte nicht, ihn von der Stelle zu bewegen.
Er sprach kein Wort und gab nur tierische Laute von sich. Ein anderer, noch
jüngerer Bub hatte sich daheim auf dem elterlichen Hof tagelang in der Hütte
beim Hund aufgehalten, vielleicht weil die arme Kreatur barmherziger war als
die Menschen. Er machte ihm seine Kette los, legte sie sich selber an, fraß mit
ihm aus einer Schüssel und bellte wie sein Kamerad. Von seiner menschlichen
Stimme machte er keinen Gebrauch, und wie er bei alledem ausgesehen hat, kann
man sich leicht ausmalen. Er war buchstäblich auf den Hund gekommen.
    Derlei Beispiele könnte ich
noch viele anführen. Der Menschheit ganzer Jammer faßte mich jedesmal von neuem
an, wenn ich diese armen Kreaturen vor mir sah, die doch auch Gottes
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