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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder
Autoren: Gerhard Otto Stock
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älteren Bruder Danny und über unseren bevorstehenden Urlaub .
. . und so weiter und so fort.
    Ich
saß daneben, hörte allem lächelnd zu und war sogar ganz froh, keine geistigen
Ergüsse von mir geben zu müssen. Somit konnte ich mich ein bisschen entspannen.
Ich fühlte mich so ziemlich am Ende meiner Kräfte. Maria wird es wohl bemerkt
haben.
    Es
verging einige Zeit. Ich schreckte hoch. War ich etwa eingenickt? Flüchtig sah
ich auf meine Armbanduhr. Es war zehn.
    „Maria,
bitte entschuldigen Sie, ich möchte gern nach meinem Auto sehen. Darf ich Sie
und Gabriele kurz allein lassen?“ Statt Maria, antwortete meine Tochter: „Aber
Vati, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr.“
    „Aha,
wenn das so ist, kann ich ja gehen und niemand wird mich vermissen“, erwiderte
ich mit gespielter Traurigkeit. Beide lachten.
    Als
ich aus dem Haus trat und die sonnendurchflutete Straße überblickte, fand ich
mich zuerst kaum zurecht und wusste im Augenblick nicht genau aus welcher
Richtung wir gekommen waren. Egal - es gab ja bloß rechts oder links, aber
trotzdem: Ich war verwirrt. „Ganz gut für mich, mir wieder einmal die Beine zu
vertreten“, sagte ich laut vor mich hin. Sonniger Sonntagmorgen in . . .? Ich
werde Maria nachher fragen, wie dieses malerische Dorf heißt, sinnierte ich.
Ich ging rechts die Straße hinunter. Noch immer war der Ort menschenleer. Ja,
natürlich nach rechts, fiel es mir ein. Wir kamen aus dem Süden und Marias Haus
befand sich auf der Westseite des Dorfes - also manchmal . . .
    Ein
emailliertes Straßenschild zeigte an, dass ich mich auf der Brunnenallee
befand. Ich wollte mein Notizbuch mit den Telefonnummern aus dem Wagen holen,
meine Papiere, etwas Geld und nachher das Hotel in Sankt Peter-Ording anrufen,
um die Rezeption über unsere verspätete Ankunft zu unterrichten. Da erblickte
ich plötzlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen etwa zehnjährigen
Jungen, klein und verwachsen. Er stand dort, angelehnt an einem Baum, barfuß,
und winkte zu mir herüber. Sein dickes, rotbackiges Gesicht war vollkommen
idiotisch. Die Augen wirkten regungslos auf mich, jedoch auf irgendeine Weise
friedvoll. Seltsame Augen, man kann sie kaum beschreiben. Dieser Junge passte
nicht hierher - so gar nicht in diese idyllische Umgebung. Sein schwarzes Haar
war gekräuselt wie bei einem Neger, und formte auf seinem Kopf eine Art
Motorradhelm. Außerdem schien es voller Stroh, Gras und sonstigem Dreck zu sein
- von seiner zerlumpten Kleidung ganz zu schweigen. Ich fragte mich, wo er sich
aufhalten und wie er hier existieren konnte.
    Unaufhörlich
stammelte er unter größter Anstrengung Unverständliches, wie: „Onkle, groster
Mahn, gutter Mahn. Onkle sollste wekkeen. Böste Leute, schlimmste Leute. Peng,
Bum.“ Dabei stieß er seine nackten, schmutzigen Arme weit von sich, als wolle
er andeuten: Nun verschwinde doch endlich von hier, du blöder Hund.
    Ohne
mich noch mal nach ihm umzudrehen, ging ich weiter. Ich sah diesen merkwürdigen
Jungen nie wieder.
    Meinen
verfluchten Opel hätte ich schon längst gefunden haben müssen, zumal er mitten
auf der Straße stand, grübelte ich im Stillen. Die Allee verlief kerzengerade -
den Wagen kann man doch gar nicht übersehen. Ich machte kehrt. Einigermaßen
verstört erreichte ich Marias Haus, faselte was von Diebstahl und fragte nach
dem Telefon.
    „Ein
Telefon? Niemand im Dorf hat ein Telefon“, antwortete sie in einer Naivität,
als hätte sie das Wort Telefon noch nie zuvor gehört. „Was? Aber die
Bürgermeisterin wird doch zumindest über eines verfügen.“
    „Nein“,
entgegnete sie mir in aller Seelenruhe.
    „Ja,
verdammt noch mal, wie kann mir dann diese Frau Doktor Hansen ein Taxi
bestellen?“
    „Bitte,
fluchen Sie nicht“, versuchte sie mich zu beschwichtigen und deutete mit
erhobenem Zeigefinger schüchtern auf das hölzerne Kreuz mit dem aufgeklebten
Plastik-Jesus hinter mir an der weißgetünchten Hauswand.
    „Dass
mit dem Taxi, hat mich ja auch gewundert. Vielleicht hat man jemand mit einem
Fahrrad nach Sankt Peter-Ording geschickt“, mutmaßte sie mit dem gleichen
Gesichtsausdruck wie vorher. Ich sah Gaby an. Unsere Blicke trafen sich und wir
verstanden einander.
    „Willst
du damit sagen, dass hier im Ort auch niemand ein Auto besitzt?“ erkundigte
sich diesmal Gaby, mir die Frage vorwegnehmend. Marias definitive Antwort war
ein klares Nein: „Nein, niemand hat ein Auto.“
    Ich
konnte nur noch meinen Kopf schütteln,
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